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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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zeigten auch weiterhin ein normales Tiefschlafmuster. Die des Kindes zeigten die traditionellen flachen Linien eines klinisch Gehirntoten.
    Saul überprüfte Puls, Herzschlag und Netzhautreaktion des Jungen, maß den Blutdruck und versuchte es mit Geräusch-, Geruchs- und Schmerzstimuli. Der Computer zeigte auch weiterhin keinerlei höhere neurologische Funktionen an. Saul wechselte Telemetriepacks und Sensoren, überprüfte die Batterien, ging auf Einzelanzeige der Funktionen über und benützte mehr Elektrolytpaste und zusätzliche Elektroden. Die Ergebnisse waren identisch mit den ersten. Der sechsjährige Justin Warden war rechtlich gehirntot und bestand buchstäblich aus nicht mehr als einem primitiven Gehirnstamm, der das Herz schlagen, die Nieren filtrieren und die Lungen Luft durch eine Hülle unbeseelten Fleisches pumpen ließ.
    Saul senkte den Kopf in die Hände und blieb sehr lange in dieser Haltung sitzen.
    »Was machen wir?« fragte Natalie. Sie trank gerade ihre zweite Tasse Kaffee. Das Betäubungsmittel hatte nicht ganz eine Stunde gewirkt, aber sie brauchte weitere fünfzehn Minuten, bis sie wieder klar denken konnte.
    »Wir halten ihn unter Betäubung, würde ich vorschlagen«, sagte er. »Wenn wir ihn aus dem Tiefschlaf erwachen lassen, könnte Melanie Fuller die Kontrolle wieder übernehmen. Der kleine Junge, der Justin Warden gewesen ist - Erinnerungen, Liebe, Ängste, alles Menschliche -, ist für immer dahin.«
    »Sind Sie ganz sicher?« fragte Natalie mit belegter Stimme.
    Saul seufzte, stellte die Kaffeetasse weg und fügte einen kleinen Schuß Whiskey hinzu. »Nein«, gab er zu, »ohne bessere Ausrüstung, kompliziertere Tests und Beobachtung des Jungen unter einer breiteren Palette von Bedingungen nicht. Aber bei derart niederschmetternden Ergebnissen würde ich sagen, die Chancen stehen überwältigend schlecht, daß er jemals wieder etwas erlangt, das menschlichem Bewußtsein auch nur entfernt nahekommt geschweige denn Erinnerungen oder Persönlichkeit.« Er trank einen großen Schluck.
    »Die ganzen Träume davon, sie zu befreien ...« begann Natalie.
    »Ja.« Saul stellte die leere Tasse ab. »Wenn man darüber nachdenkt, ist es eigentlich logisch. Je mehr Konditionierung die alte Dame durchgeführt hat, desto weniger Chancen, daß die ursprüngliche Persönlichkeit überlebt. Ich vermute, die Erwachsenen funktionieren mit einem Überrest ihrer Identitäten ... Persönlichkeiten ... es hätte ihr sicherlich nichts genützt medizinisches Personal zu entführen, wie sie es getan hat wenn dieses keinen Zugang zu seinen früheren Fähigkeiten mehr hätte. Aber selbst dann muß diese länger währende geistige Kontrolle - dieser Gedankenvampirismus - nach einer Weile die ursprüngliche Persönlichkeit töten. Wie eine Krankheit, Gehirnkrebs, die mit der Zeit schlimmer wird, bis die bösartigen Zellen die gutartigen töten.«
    Natalie rieb sich den schmerzenden Kopf. »Ist es möglich, daß einige ihrer ... ihrer Leute ... weniger kontrolliert werden als andere? Daß sie nicht so infiziert sind?«
    Saul breitete die Finger einer Hand zu einer unbestimmten Geste aus. »Möglich? Ja, ich nehme an. Aber wenn sie so sehr konditioniert - manipuliert - sind, daß sie ihnen als Diener vertraut, dann fürchte ich, daß ihre Persönlichkeiten und höheren Funktionen ernstlich beschädigt sind.«
    »Aber der Standartenführer hat Sie benützt«, sagte Natalie ohne emotionalen Beigeschmack. »Und ich wurde zweimal von Harod angezapft und mindestens ebenso oft von dieser alten Hexe.«
    »Und?« sagte Saul, der die Brille abnahm und sich den Nasenrücken rieb.
    »Nun, haben sie uns geschadet? Wächst gerade in uns ein Krebs? Sind wir anders, Saul? Sind wir es ?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Saul. Er saß reglos da, bis Natalie wegsah.
    »Tut mir leid«, sagte sie. »Es ist nur so ... schrecklich ... diese runzlige alte Hexe in meinem Kopf zu haben. Es ist das hilfloseste Gefühl, das ich je gehabt habe ... muß schlimmer sein, als vergewaltigt zu werden. Wenn jemand dem Körper Gewalt antut, gehört einem wenigstens noch der Verstand. Und das Schlimmste daran ... das Schlimmste daran ist ... wenn es ein- oder zweimal passiert ist ... dann .« Natalie konnte nicht weitersprechen.
    »Ich weiß«, sagte Saul und hielt ihre Hand. »Ein Teil von einem möchte es wieder erleben. Wie eine schreckliche Droge mit gefährlichen Nebenwirkungen, aber gleichermaßen süchtig machend. Ich weiß.«
    »Sie haben nie

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