Kraft des Bösen
von den Autos. Er konnte den braunen Stoff von Natalies Rock sehen, die auf dem Asphalt lag. Er schritt hastig aus und hielt die Bäume zwischen sich und Justin. Bisher schien noch niemand im Park Natalie bemerkt zu haben. Zwei Motorräder fuhren mit einer Explosion von Lärm auf den Parkplatz.
Saul sputete sich und ging vierzig Schritte näher an Justin heran, der mit dem Rücken zum Zaun über dem Fluß stand. Der Junge hatte einen starren, verschwommenen Blick. Sein Mund hing offen, ein Speichelfaden troff ihm vom Kinn. Saul lehnte sich mit dem Rücken an einen Baum, holte tief Luft und überprüfte die CO 2 -Ladung im Griff der Waffe.
»He«, rief ein Mann in der Nähe in einem grauen Brooks-Brothers-Sommeranzug, »nicht schlecht. Braucht man einen Waffenschein für so was?«
»Nein«, sagte Saul, sah um einen Baum herum und vergewisserte sich, daß Justin immer noch blicklos vor sich hin starrte. Der Junge war fünfzehn bis zwanzig Meter entfernt. Zu weit.
»Toll«, sagte der junge Mann im grauen Anzug. »Feuert sie 22er oder Schrot oder was?«
Der Gesprächspartner des Mannes im grauen Anzug, ein blonder junger Mann mit Schnurrbart, geföntem Haar und blauem Sommeranzug, sagte: »Wo kann man so eine kaufen, Kumpel? Führt der K-Markt so was?«
»Entschuldigen Sie mich bitte«, sagte Saul, ging um den Baum herum und lief ohne Deckung auf den Zaun zu. Justin drehte den Kopf nicht in seine Richtung. Der leere Blick des Jungen war auf eine Stelle über den Dächern der Autos auf dem Parkplatz gerichtet. Saul hielt die Pistole hinter sich; während er auf den Zaun und die erstarrte Gestalt des Sechsjährigen zuging. Zwanzig Schritte entfernt blieb er stehen. Justin regte sich nicht. Saul kam sich vor wie eine Katze, die sich an eine Spielzeugmaus anschleicht, als er die letzten fünfzehn Schritte zurücklegte, die Pistole nach vorn holte und dem Jungen einen Pfeil mit blauen Federn ins bloße rechte Bein schoß. Als Justin steif nach vorn kippte, war Saul zur Stelle und fing ihn auf. Niemand schien den Vorfall bemerkt zu haben.
Er konnte sich gerade noch zurückhalten, nicht über den Parkplatz zu laufen, ging aber dennoch mehr als schnellen Schrittes. Die beiden langhaarigen Männer, die mit den Motorrädern gekommen waren, standen auf dem Gehweg und sahen auf Natalies reglose Gestalt hinab. Keiner unternahm einen Versuch, ihr zu helfen.
»Bitte entschuldigen Sie«, sagte Saul, drängte sich an ihnen vorbei, stieg über Natalie hinweg, zog die linke hintere Tür des Kombis auf und legte Justin behutsam neben das Batteriepack und das Funkgerät.
»He, Mann«, sagte der dickere der beiden Motorradfahrer, »ist sie tot oder was?«
»O nein«, sagte Saul mit gezwungenem Kichern und grunzte vor Anstrengung, als er sie auf den Vordersitz zog und so weit nach rechts schob, wie er konnte. Ihr linker Schuh rutschte herunter und fiel polternd auf den Asphalt. Er hob ihn auf und lächelte den glotzenden Motorradfahrern zu. »Ich bin Arzt. Sie hat nur kleinere Probleme mit Petit-mal- Anfällen, die von neurologisch defekten kardiopulmonären Ödemen ausgelöst werden.« Er stieg in den Kombi ein, warf die Betäubungspistole auf den Sitz und lächelte den Motorradfahrern weiter zu. »Der
Junge auch«, sagte er. »Es ... äh ... liegt in der Familie.« Saul legte den Gang ein, stieß zurück und rechnete damit, daß ihn ein Auto voll mit Melanie Fullers Zombies anhalten würde, noch bevor er es zur Straße schaffen konnte. Kein Auto erschien.
Saul fuhr in der Gegend herum, bis er sicher war, daß ihm niemand folgte, dann kehrte er ins Motel zurück. Ihre Bungaloweinheit war von der Straße aus fast nicht zu sehen, dennoch vergewisserte er sich, daß kein Verkehr herrschte, bevor er sie hineintrug, zuerst Natalie, dann den Jungen.
Natalies EEG-Sensoren waren noch an Ort und Stelle, sie waren im Haar verborgen, aber funktionstüchtig. Mikrofon und Telemetriepack arbeiteten noch. Saul wartete eine Minute, bis er den Computer abklemmte und ins Innere trug. Der ThetaRhythmus war fort, die REM-Peaks abgeklungen. Das EEG- Ergebnis entsprach tiefem, traumlosem, drogeninduziertem Schlaf.
Nachdem er die Ausrüstung hereingetragen hatte, legte Saul Natalie und den Jungen bequem hin und überprüfte ihre Lebensfunktionen. Er aktivierte das zweite Telemetriepack, befestigte Elektroden am Kopf des Jungen und gab einen Code ein, der ein Programm startete, das beide EEG-Daten gleichzeitig auf dem Monitor darstellte. Natalies Daten
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