Kraft des Bösen
darüber geredet .«
»Das ist kein Thema, über das man gerne spricht.«
»Nein.« Natalie erschauerte.
»Aber wir sprechen hier nicht über den Krebs«, sagte Saul. »Ich bin überzeugt, die Sucht kommt durch die intensive Konditionierung, die diese Monster an ihren Auserwählten durchführen. Was uns zu einem weiteren moralischen Dilemma führt.«
»Was für einem?«
»Wenn wir unseren Plan weiterverfolgen, ist wochenlange Konditionierung für mindestens eine Person erforderlich - möglicherweise mehr - Unschuldige.«
»Das ist nicht dasselbe ... es wäre nur vorübergehend, für eine bestimmte Funktion.«
»Für unsere Zwecke wäre es vorübergehend«, sagte Saul. »Wie wir wissen, kann die Wirkung aber permanent sein.«
»Gottverdammt!« schnappte Natalie. »Das spielt keine Rolle. Es ist unser Plan. Fällt Ihnen ein anderer ein?«
»Nein.«
»Dann machen wir weiter«, sagte Natalie nachdrücklich. »Wir machen weiter, selbst wenn es uns unseren Verstand und unsere Seelen kostet. Wir machen weiter, auch wenn weitere Unschuldige leiden müssen. Wir machen weiter, weil wir es müssen, weil wir es unseren Toten schuldig sind. Unsere Familien und die Menschen, die wir lieben, haben den Preis gezahlt, und jetzt machen wir weiter ... lassen die Killer bezahlen ... es kann keine Gerechtigkeit geben, wenn wir jetzt aufhören. Was für einen Preis wir auch bezahlen müssen, wir müssen weitermachen.«
Saul nickte. »Sie haben selbstverständlich recht«, sagte er traurig. »Aber das ist genau derselbe Imperativ, der wütende junge Palästinenser dazu treibt, Bomben in Busse zu schmuggeln, oder die baskischen Separatisten, in Menschenmengen zu feuern. Sie haben keine andere Wahl. Unterscheidet sich das so sehr von den Eichmanns, die nur Befehle ausgeführt haben? Auf diese Imperative zu reagieren, ohne persönliche Verantwortung?«
»Ja«, sagte Natalie, »es unterscheidet sich. Und ich bin im Augenblick verdammt zu frustriert, um etwas auf Ihre ethischen Bedenken zu geben. Ich möchte nur sehen, was zu tun ist, und es dann auch tun.«
Saul stand auf. »Eric Hoffer sagt, daß für die Frustrierten Freiheit von der Verantwortung attraktiver ist als Freiheit von Beschränkung.«
Natalie schüttelte vehement den Kopf. Saul konnte die dünnen schwarzen Fäden der EEG-Sensoren im Kragen ihrer Bluse verschwinden sehen. »Ich suche nicht Freiheit von der Verantwortung«, sagte sie. »Ich übernehme Verantwortung. Im Augenblick überlege ich mir, ob wir Melanie Fuller den Jungen zurückgeben sollen.«
Sauls Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Ihn zurückgeben? Wie könnten wir das? Er ist .«
»Er ist gehirntot«, unterbrach ihn Natalie. »Sie hat ihn schon so unwiederbringlich ermordet wie seine Schwestern. Aber ich habe eine Verwendung für ihn, wenn ich heute abend wieder hingehe.«
»Sie können da heute nicht wieder hin«, sagte Saul, der sie ansah, als würde er sie gar nicht kennen. »Es ist zu früh. Sie ist zu labil...«
»Darum muß ich jetzt gehen«, sagte Natalie nachdrücklich. »Solange sie noch durcheinander und unsicher ist. Die alte Dame hat fast sämtliche Schrauben locker, aber sie ist nicht dumm, Saul. Wir müssen wissen, daß sie überzeugt ist. Und wir können uns nicht mehr verstellen. Ich muß aufhören herumzumauscheln, wer ich bin - eine Botin ... ein geheimnisvoller Jemand -, und für dieses alte Ungeheuer Nina Drayton werden.«
Saul schüttelte den Kopf. »Wir arbeiten mit wackligen Prämissen, die auf unzureichenden Informationen basieren.«
»Und mehr haben wir nicht«, sagte Natalie. »Wir müssen weitermachen. Wir sind verpflichtet - es hat keinen Sinn, mit halben Sachen zu scheitern. Wir müssen uns unterhalten, Sie und ich, bis ich etwas gefunden habe, das ausschließlich Nina Drayton gewußt haben kann, etwas, das selbst Melanie Fuller überraschen wird.«
»Wiesenthals Dossiers«, sagte Saul und rieb sich geistesabwesend die Stirn.
»Nein«, sagte Natalie, »etwas Überzeugenderes. Etwas, das bei Ihren beiden Sitzungen mit Nina Drayton ans Tageslicht kam, als sie Sie in New York besucht hat. Sie hat mit Ihnen gespielt, aber Sie sind trotzdem Therapeut gewesen. Da geben die Menschen mehr preis, als ihnen bewußt ist.«
Saul legte die Fingerspitzen aneinander und sah einen Moment ins Leere. »Ja«, sagte er, »da ist etwas.« Der Blick seiner traurigen Augen richtete sich auf Natalie. »Aber es ist ein schreckliches Risiko für Sie.«
Natalie nickte. »Damit
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