Kraft des Bösen
des verbliebenen C-4-Plastiksprengstoffs in Päckchen gebündelt und an einen Gurt geklinkt worden waren. »Wenn Sie nicht mehr herauskommen«, sagte er, »gehe ich rein und hole Sie. Wenn sie Ihnen etwas getan hat, bringe ich alle um und mache, so gut ich kann, mit dem Plan weiter.«
Natalie zögerte. »Gut.« Sie drehte sich um und trug Justin zu dem Haus, das lediglich vom grünen Leuchten im ersten Stock erhellt wurde.
Natalie legte den bewußtlosen Jungen auf ein uraltes Sofa. In dem Haus roch es nach Mehltau und Staub. Melanie Fullers >Familie< hatte sich wie eine Gruppe wandelnder Leichname eingefunden - der geistig zurückgebliebene Hüne, den die alte Frau Culley nannte; ein kleinerer, dunkler Mann, in dem Natalie Justins Vater vermutete, obwohl er dem Jungen nicht einmal einen Blick zugeworfen hatte; die beiden Frauen in schmutziger Schwesterntracht, von denen eine ihr Make-up so schlecht aufgetragen hatte, daß sie wie ein blinder Clown aussah; eine weitere Frau in einer zerrissenen gestreiften Bluse und einem bedruckten Rock, der überhaupt nicht dazu paßte. Das einzige Licht spendete eine einsame flackernde Kerze, die Marvin hereingetragen hatte. Der ehemalige Bandenchef hielt ein langes Messer in der rechten Hand.
Natalie Preston war es einerlei. Ihr Körper war so mit Adrenalin vollgepumpt, ihr Herz schlug so rasend, ihr Denken war so vollgestopft mit den Persönlichkeiten, die sie sich in den vergangenen Wochen und Monaten eingeprägt hatte, daß sie einfach nur anfangen wollte. Alles war besser als warten, fürchten, fliehen ... »Melanie«, schnappte sie mit ihrem besten weißen Südstaatentonfall, »hier hast du dein kleines Spielzeug zurück. Mach das nie wieder.«
Die Masse weißen Fleisches namens Culley kam nach vorne geschlurft und sah Justin an. »Ist er tot?«
»Ist er tot?« äffte Natalie ihn nach. »Nein, meine Teuerste, er ist nicht tot. Aber er ist es und sollte es sein, und du wahrscheinlich auch. Was um alles in der Welt hast du dir nur dabei gedacht?«
Culley murmelte etwas von wegen nicht zu wissen, ob das farbige Mädchen tatsächlich von Nina kam.
Natalie lachte. »Stört es dich, daß ich diese Schwarze >benütze Oder bist du eifersüchtig, Teuerste? Soweit ich mich erinnern kann, hast du Barrett Kramer auch nie leiden können. Wie viele meiner Assistentinnen hast du denn im Lauf der Jahre gemocht, Teuerste?«
Die Schwester mit dem Clown-Make-up ergriff das Wort. »Beweise, daß du es bist.«
Natalie wirbelte zu ihr herum. » Der Teufel soll dich holen, Melanie!« brüllte sie. Die Schwester wich einen Schritt zurück. »Entscheide dich für einen Mund, den du benützen willst, und bleib dabei. Ich habe es satt. Du hast jeglichen Sinn für Gastfreundschaft verloren. Wenn du noch einmal versuchst, meine Botin zu übernehmen, töte ich deinen Gesandten und hole mir anschließend dich. Meine Macht ist drastisch gewachsen, seit du mich erschossen hast, Teuerste. Du hast mir mit deiner >Gabe< nie das Wasser reichen können, und jetzt hast du überhaupt keine Chance mehr, dich mit mir zu messen. Hast du das verstanden?« Letzteres schrie Natalie der Schwester ins Gesicht, die sich den Lippenstift sorgfältig über die Wange verschmiert hatte. Die Schwester wich einen weiteren Schritt zurück.
Natalie drehte sich, sah in jedes der wachsartigen Gesichter und setzte sich auf den Stuhl direkt beim Teetisch. »Melanie, Melanie, warum muß es so sein? Darling, ich habe dir vergeben, daß du mich getötet hast. Hast du eine Vorstellung davon, wie schmerzhaft es ist zu sterben? Hast du eine Ahnung, wie schwer es mir fällt, mich zu konzentrieren, weil mir dieses Stück Blei von deiner dummen, alten Pistole in der Stirn steckt? Wenn ich dir das vergeben kann, wie kannst du dann so dumm sein und Willi und dich selbst - uns alle - wegen alter Verstimmungen in Gefahr bringen? Laß Vergangenes vergangen sein, Teuerste, oder, bei Gott, ich brenne dieses alte Rattenloch von einem Haus bis auf die Grundmauern nieder und mache ohne dich weiter.«
Es waren fünf von Melanies Leuten im Zimmer, Justin nicht mitgezählt. Natalie vermutete, daß oben bei der alten Dame noch mehr waren und im Haus der Hodges möglicherweise noch mehr. Als Natalie aufhörte zu brüllen, zuckten alle fünf deutlich zurück. Marvin stieß gegen eine hohe Vitrine aus Holz und Glas. Teller und zerbrechliche, filigrane Figuren vibrierten auf den Regalen.
Natalie ging drei Schritte weiter und sah der ClownSchwester
Weitere Kostenlose Bücher