Kraft des Bösen
wir zur nächsten Phase übergehen können, bei der Sie Risiken auf sich nehmen, daß mir richtiggehend schlecht wird, wenn ich nur daran denke«, sagte sie. »Ziehen wir es durch.«
Sie unterhielten sich fünf Stunden lang und gingen dabei Einzelheiten durch, über die sie sich schon unzählige Male unterhalten hatten, die jetzt aber wie ein Schwert für die Schlacht geschärft werden mußten. Um acht Uhr abends waren sie fertig, aber Saul schlug vor, sie sollten noch ein paar Stunden warten.
»Glauben Sie, daß sie schläft?« fragte Natalie.
»Möglicherweise nicht, aber selbst ein Dämon muß anfällig für Erschöpfung sein. Zumindest ihre Handlanger. Außerdem haben wir es hier mit einer wahrhaft paranoiden Persönlichkeit zu tun und wollen in ihre Privatsphäre - ihr Territorium - eindringen; alles deutet darauf hin, daß diese Gedankenvampire auf ihr Territorium soviel Wert legen, wie ihre primitive Nutzung des Hirnstamms vermuten läßt. In diesem Fall wird ein nächtliches Eindringen weitaus effektiver sein. Bei der Gestapo gehörte es zur Routine, nachts zu kommen.«
Natalie betrachtete die Notizen, die sie sich gemacht hatte. »Also arbeiten wir mit der Paranoia, ja? Gehen davon aus, daß sie der klassischen Symptomologie von paranoiden Schizophrenen folgt?«
»Nicht nur das«, sagte Saul. »Wir müssen davon ausgehen, daß wir es hier mit einer Persönlichkeit Stufe Null nach Kohlberg zu tun haben. Melanie Fuller ist in mancherlei Hinsicht niemals über ein infantiles Entwicklungsstadium hinausgekommen. Möglicherweise keiner von ihnen. Ihre parapsychologische Fähigkeit ist ein Fluch, der ihnen nicht erlaubt über die Ebene hinauszukommen, wo sie sofortige Belohnung verlangen und erwarten. Was sich ihrem Willen widersetzt, ist unakzeptabel, daher die unvermeidliche Paranoia und der Hang zur Gewalt. Tony Harod ist möglicherweise weiter entwickelt als die anderen - vielleicht hat sich seine übersinnliche Begabung später und nicht so erfolgreich entwickelt -, seine Anwendung dieser begrenzten Fähigkeit dient lediglich dazu, bestenfalls die Masturbationsfantasien der Pubertät auszuleben. In Verbindung mit Melanie Fullers infantilem Ego und ihrer hochentwickelten Paranoia haben wir einen Hexenkessel von Schulmädcheneifersüchteleien und unbewußten homosexuellen Neigungen, die ihrem langen Wettstreit mit Nina zugrunde liegen.«
»Toll«, sagte Natalie, »in evolutionärer Hinsicht sind sie Supermänner. Was die psychologische Entwicklung angeht, sind sie zurückgeblieben. In moralischer Hinsicht sind sie Untermenschen.«
»Keine Untermenschen«, sagte Saul, »lediglich nichtexistent.«
Sie saßen eine lange Zeit schweigend da. Keiner hatte seit dem Frühstück vor zwölf Stunden etwas gegessen. Das Oszilloskop-Muster auf dem Computerschirm zeigte die aktiven Peaks und Täler von Natalies jagenden Gedanken.
Saul schüttelte sich. »Ich habe das Problem des posthypnotischen Auslöserstimulus gelöst«, sagte er.
Natalie richtete sich auf. »Wie, Saul?«
»Mein Fehler war, daß ich versucht habe, eine Reaktion auf den Theta-Rhythmus oder die künstlichen Alpha-Peaks zu konditionieren. Ersteren kann ich nicht erzeugen, letztere sind zu unzuverlässig. Das wache REM-Stadium muß der Auslöser sein.«
»Können Sie das duplizieren, wenn Sie wach sind?« fragte Natalie.
»Möglicherweise«, sagte Saul. »Aber nicht zuverlässig. Statt dessen werde ich einen Interimstimulus entwickeln - vielleicht eine leise Glocke - und das natürliche REM-Stadium benützen, um ihn auszulösen.«
»Träume«, überlegte Natalie. »Haben wir Zeit?«
»Fast einen Monat«, sagte Saul. »Wenn wir Melanie dazu bringen können, die Leute zu konditionieren, die wir brauchen, kann ich meinen eigenen Verstand dazu bringen, sich selbst zu konditionieren.«
»Aber diese Träume, die Sie haben«, sagte Natalie. »Die Menschen, die sterben ... die Hoffnungslosigkeit der Lager .«
Saul lächelte ergeben. »Diese Träume habe ich sowieso«, sagte er.
Es war nach Mitternacht, als Saul sie in die Altstadt fuhr und einen halben Block von der Villa Fuller entfernt parkte. Es war keine Ausrüstung im Kombi; Natalie trug weder Mikrofon noch Sensoren.
Straße und Gehweg waren menschenleer. Natalie hob Justin vom Rücksitz, strich ihm zärtlich eine Strähne aus der Stirn und sagte durch das offene Fenster zu Saul: »Wenn ich nicht mehr herauskomme, machen Sie mit dem Plan weiter.«
Saul nickte zum Rücksitz, wo zwanzig Pfund
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