Kraft des Bösen
irgendwo schlief, sich auf die Suche nach ihnen gemacht hatte oder sogar wegen Stadtstreicherei verhaftet worden war.
Das Fuller-Haus und der Hof lagen dunkel unter hohen
Bäumen, die noch nach dem nächtlichen Sturm tropften. Abgesehen von einem schwachen grünen Leuchten hinter den Läden im ersten Stock.
Natalie fuhr langsam um den Block. Ihr Herz schlug so schnell, daß es ihr körperliche Schmerzen bereitete. Ihre Handflächen waren verschwitzt, die Finger fühlten sich zu schwach an, eine Faust zu ballen. Schlafmangel machte sie schwindlig.
Es war unsinnig, allein dorthin zu gehen. Sie sollte warten, bis es Saul wieder besser ging, bis Catfish und Jackson ihr halfen, einen Schlachtplan zu entwerfen. Es wäre vollkommen logisch gewesen, den Kombi einfach zu wenden und nach Washington zu fahren ... weg von dem dunklen Haus, das da hundert Meter entfernt lauerte und hinter dem Fenster ein schwaches grünes Leuchten erkennen ließ, das an einen phosphoreszierenden Pilz in den tiefsten Tiefen eines Waldes erinnerte.
Natalie ließ das Auto im Leerlauf stehen, während sie versuchte, ihren panischen Atem zu beruhigen. Sie ließ die Stirn auf das kalte Lenkrad sinken und zwang ihren übermüdeten Verstand zu denken.
Sie vermißte Rob Gentry. Rob hätte gewußt, wie man weiter vorgehen könnte.
Sie hielt es für ein Zeichen ihrer Übermüdung, daß die Tränen so ungehindert flossen. Dann setzte sie sich unvermittelt auf und wischte sich die laufende Nase mit dem Handrücken ab.
Bis jetzt, dachte sie, hatten alle ihren zusätzlichen Tribut in diesem Alptraum gezollt, abgesehen von der kleinen Miß Natalie. Rob hatte seinen Teil erledigt und war dafür gestorben. Saul war allein - allein - zu der Insel gegangen, obwohl er gewußt hatte, daß fünf der Kreaturen dort warteten. Jack Cohen mußte sterben, weil er versucht hatte, ihnen zu helfen. Selbst Meeks, Jackson und Catfish hatten den größten Teil der Arbeit übernommen, die die kleine Miß Natalie getan haben wollte.
Irgendwo, tief im Grunde ihres Herzens, wußte sie, daß Melanie Fuller nicht mehr dasein würde, wenn sie auch nur noch
ein paar Stunden zögerten.
Natalie umklammerte das Lenkrad so fest, daß ihre Knöchel weiß wurden. Sie zwang ihren übermüdeten Verstand zu einem Hürdenlauf, um ihre Motive zu analysieren. Natalie wußte, ihr eigener Wunsch nach Rache war durch die Zeit und Ereignisse und den Wahnsinn der vergangenen sieben Monate abgeklungen. Sie war nicht mehr dieselbe Frau, die an einem fernen Dezembersonntagmorgen hilflos und verloren vor der verschlossenen Leichenhalle gestanden und gewußt hatte, daß der Leichnam ihres Vaters da drinnen lag, und seinem unbekannten Mörder Rache schwor. Im Gegensatz zu Saul wurde sie nicht mehr von dem Wunsch nach unwahrscheinlicher Gerechtigkeit getrieben.
Natalie betrachtete das Fuller-Haus einen halben Block entfernt und stellte fest, daß die Motivation, die sie jetzt antrieb, mehr dem Imperativ gleichkam, der sie veranlaßt hatte, eine Ausbildung zur Lehrerin anzufangen. Wenn sie Melanie Fuller in dieser Welt am Leben lassen würde, wäre das, als würde man aus einem Schulhaus fliehen, in dem eine tödliche Schlange bereit war, über die ahnungslosen Kinder herzufallen.
Natalies Hände zitterten stark, als sie den unhandlichen Sprengstoffgürtel nahm und das schwere C-4 an sich befestigte. Die Batterien des EEG-Monitors mußten ausgewechselt werden, und sie durchlebte einen schrecklichen Augenblick des Schocks, als ihr einfiel, daß sie die Ersatzbatterien in einer der Taschen im Bus gelassen hatte. Dann öffnete sie mit ungeschickten Fingern das CB-Funkgerät und wechselte dessen Batterien in den EEG-Monitor.
Zwei der Elektroden am Sensor blieben nicht haften, daher ließ sie sie baumeln und verband das Auslösekabel mit dem C-4-Zünder. Der Hauptzünder war elektrisch, aber sie hatten zusätzlich einen mechanischen Zeitzünder und sogar eine zusammengerollte Zündschnur, die sie und Saul auf dreißig Sekunden Länge zurechtgeschnitten hatten. Sie empfand wieder den galligen Geschmack der Panik und tastete ihre Taschen ab, aber das Feuerzeug, das sie so lange mit sich herumgetragen hatte, mußte mit dem Rest des Inhalts ihrer Handtasche auf der Insel geblieben sein. Natalie suchte im Handschuhfach. Zwischen den Karten fand sie ein einziges Streichholzbriefchen aus einem Restaurant in Tulsa, das sie besucht hatten. Keines war benützt worden. Sie steckte es in die Tasche.
Natalie warf
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