Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
blutete ekelhaftes Licht in den Hof.
    Natalie zog den Colt heraus, spannte den Hahn, daß eine Kugel in die Kammer eingeführt wurde, und dachte daran, daß nur noch sieben Patronen geladen waren, nicht acht, weil sie eine versehentlich ins Dach der Cessna abgefeuert hatte. Sie holte die Pfeilpistole, verweilte einen Augenblick mit einer Waffe in jeder Hand und kam sich lächerlich vor. Ihr Vater hätte bestimmt gesagt, daß sie wie sein Lieblingscowboy Hoot Gibson aussah. Natalie hatte noch nie einen Film mit Hoot Gibson gesehen, aber er war bis auf den heutigen Tag auch ihr Lieblingscowboy gewesen.
    Sie trat die schiefe Tür weiter nach innen und betrat die dunkle Diele, ohne an den nächsten Schritt oder den danach zu denken. Sie war erstaunt, daß das Herz eines Menschen so rasend schnell schlagen konnte, ohne in der Brust zu zerspringen.
    Catfish saß sechs Schritte von der Tür entfernt breitbeinig auf einem Stuhl. Seine toten Augen sahen durch Natalie hindurch, die Schnur eines Schildes war über die Zähne seines klaffenden Unterkiefers gezogen. Im schwachen Licht vom Hof konnte sie die krakeligen Buchstaben lesen, die mit Filzstift auf den Pappkarton geschrieben worden waren: GEH WEG.
    Vielleicht ist sie fort, vielleicht ist sie fort, dachte Natalie und ging um Catfish herum, damit sie zur Treppe gelangen konnte.
    Marvin stürmte einen Sekundenbruchteil bevor Culley unter der Tür links von ihr auftauchte, zur Tür des Eßzimmers heraus.
    Natalie schoß Marvin einen Betäubungspfeil in die Brust und ließ die jetzt nutzlose Waffe fallen. Dann hob sie die linke Hand ruckartig und packte Marvins rechtes Handgelenk, als dieser mit einem Schlachtermesser zum tödlichen Stoß ausholte. Sie bremste die Wucht des Hiebs ab, dennoch bohrte sich die Messerspitze einen Zentimeter in ihre linke Schulter, während sie sich bemühte, seinen Arm zurückzuhalten und den Jungen wie bei einem linkischen Tanzschritt herumzudrehen, während Culley die riesigen Arme um sie beide schlang. Natalie spürte, wie er die Hände hinter ihrem Rücken verschränkte und wußte, der Gigant würde ihr binnen zwei Sekunden das Rückgrat brechen, daher schob sie die Pistole unter Marvins linkem Arm durch, drückte die Mündung in Culleys weichen Bauch und feuerte zweimal. Die Schüsse klangen obszön gedämpft.
    Culleys leeres Gesicht nahm ganz kurz den Ausdruck eines enttäuschten Kindes an, seine Finger lösten sich hinter ihr, dann taumelte er rückwärts und klammerte sich am Rahmen der Salontür fest, als wäre der Fußboden plötzlich vertikal geworden. Mit einer Anstrengung, bei der sich sein Bizeps wölbte und Holz splitterte, leistete er der unsichtbaren Kraft Widerstand, die ihn in den Salon zu ziehen schien, und erklomm die imaginäre Wand, indem er einen kräftigen Schritt in Natalies Richtung machte und den rechten Arm ausstreckte, als wollte
    er an ihrem Körper Halt suchen.
    Natalie legte den Arm um Marvins plötzlich schlaffe Schulter und feuerte noch zweimal; die erste Kugel drang durch Culleys Handfläche in den Magen ein, die zweite riß ihm das linke Ohrläppchen so glatt wie bei einem Zaubertrick ab.
    Natalie stellte fest, daß sie schluchzte und schrie. »Fall um! Fall um!« Er fiel nicht um, sondern packte wieder den Türrahmen und senkte sich langsam in eine sitzende Haltung, eine Bewegung, die präzise mit Marvins zeitlupenhaftem Niedersinken choreographiert war. Das Messer fiel klappernd zu Boden. Natalie hielt den Kopf des jungen Mannes, bevor er mit dem Gesicht auf das polierte Holz schlagen konnte, ließ ihn vor Catfishs Füßen niedersinken, wirbelte herum, schwenkte die Pistole in kurzen Bögen und deckte so die Eßzimmertür und den kurzen Flur zur Küchentür ab.
    Nichts.
    Natalie, die immer noch schluchzte und nach Luft rang, ging die lange Treppe hinauf. Sie schlug auf den Lichtschalter. Der Leuchter aus Kristall über der Diele blieb dunkel, der Absatz am oberen Ende der Treppe ein Dickicht von Schatten. Nach fünf Stufen konnte sie das grüne Leuchten erkennen, das unter der Tür von Melanie Fullers Schlafzimmer herausdrang.
    Natalie stellte fest, daß ihr Schluchzen in ein abgehacktes Wimmern übergegangen war. Sie verstummte. Drei Stufen vor dem oberen Ende der Treppe blieb sie stehen, hakte den Gürtel auf und hängte sich die Beutel mit dem C-4 über den linken Arm, so daß der auf dreißig Sekunden eingestellte mechanische Zeitzünder nach oben gerichtet war. Jetzt konnte sie ihn aktivieren, indem sie

Weitere Kostenlose Bücher