Kramp, Ralf (Hrsg)
vegetarisch-englisches Frühstück. Paul Pieper war das Hirn ihrer Zweier-Bankräuberbande, Petra war der Muskelmann, will heißen: die Muskelfrau. Wobei sie – schon allein optisch – starke männliche Komponenten hatte. Sehr starke. Im Grunde sah sie aus wie Arnold Schwarzenegger im Fummel. Sie rastete gern schon mal bei kleinsten Anlässen aus und schoss dann mit ihrer Halbautomatikwaffe Muster in die Wände der überfallenen Banken. Aber immer fröhliche florale Muster. Und Sicherheitsmänner nietete sie nie um, sie konnte nämlich kein Blut sehen.
»Ich komm nicht mit. Ich seh’ deine Visage ja jeden Tag«, hatte sie erklärt, als Paul zur Vernissage aufbrach.
»Aber das ist Kunst!«, hatte Paul dagegen gehalten.
»Kunst, Schmunst. Knäcke mit Käse ist mir wichtiger.« Petra ließ sich partout nicht aus ihrem superbequemen Pensionsbett locken.
Also stand Paul an diesem späten Sonntagvormittag allein im
Kleinen Landcafé
. Nun ja ... nicht wirklich allein. Neben der Wirtin, einer Kellnerin und einer Küchenfrau befanden sich noch der Fotograf Michael Jäger, ein Reporter des
Eifelblattes
, eine ältere Niederländerin mit ihrem greisen Ehemann, eine hagere Endfünfzigerin in einem roten Filzensemble, eine Nachbarin von um die Ecke, ein Ehepaar mit drei kleinen Kindern, alle lockenhaarig, und zwei bullige Stoppelköpfe in Motorradlederkluft im Café. Es wären unter anderen Umständen sicher noch mehr gewesen, sonst war es immer proppevoll, wenn Thea Greif eine Vernissage veranstaltete, aber an diesem Tag herrschte aus einem nachvollziehbaren Grund vergleichsweise gähnende Leere.
An diesem Tag schien nämlich die Welt untergehen zu wollen.
Es regnete nicht nur, es schüttete wie aus Kübeln, die Bundesstraße nach Hillesheim ähnelte dem canale Grande in Venedig. Dazu peitschte ein eisiger Wind. Da trauten sich nur ganz Unerschrockene aus dem Haus, also Menschen, die dafür bezahlt wurden, Suizidale und Leute wie Paul Pieper, deren Eitelkeit es nicht zuließ, eine solche Gelegenheit zu verpassen. Neben Diddi und Loddar zu hängen, man bedenke! Mit seiner Handykamera schoss Paul ein Beweisfoto.
Was Paul jedoch nicht registrierte: Es befand sich noch jemand im Café. Der Ehemann von Thea Greif. Günter Greif.
Günter ohne h, sieht man doch
, wie er auf Nachfrage gern scherzte und dabei auf seinen kahlen Kopf zeigte. Günter war im Berufsleben für die Exekutive tätig und betrachtete während der Einführungsrede der extra aus Köln angereisten, in Filz gewandeten, hageren Photokunstexpertin als Einziger in der Runde nicht die Fotografien, sondern nachdenklich den Kopf von Paul Pieper. Nach einer Weile zog er sich in sein Büro zurück, klickte sich an seinem Computer zu einer passwortgeschützten Seite, nickte dann und griff zum Telefonhörer ...
2. Akt: Sturm auf Kerpen
»Wat öss da om Jottes welle hei los?«, staunte die Nachbarin von um die Ecke des
Kleinen Landcafés
und schaute in dem kleinen Nebenraum, der bei Veranstaltungen durchaus auch als Künstlergarderobe diente, jetzt aber weitere Doppelporträts zeigte, neugierig aus dem Fenster.
Paul Pieper, der draußen unter dem Schutzdach rauchte, weil er sich nach Erfolgserlebnissen gern ein Black Vanilla Zigarillo genehmigte, sah die Streifenwagen ebenfalls. Das konnte kein Zufall sein. Er schnippste seine Kippe in Richtung der Eisenhauer-Skulptur, zog seine SIG Sauer aus dem Hosenbund und lief zurück ins Café. Er sah nach rechts, da war nur Wand, er sah nach links, er sah nach vorn und entschied sich dann für eins der lockigen Kinder – allesamt in hellgrüne Cordoveralls gewandet und auf den ersten Blick nicht als Mädchen oder Jungs zu erkennen, nur als klein, kleiner, ganz klein und lockig. Er wählte die mittlere Größe und hielt dem Kind die Waffe an den Kopf. »Jetzt nur keine Dummheiten!«, herrschte er die Anwesenden an. »Sonst mach ich die Kleine kalt.«
»Ich heiß Kevin!«, beschwerte sich das Kind, völlig unbeeindruckt, während seine Geschwister albern kicherten. Nur die Eltern wurden bleich, ebenso wie alle anderen Erwachsenen. »Schnell!«, befahl Pieper, »die Eingangstür abschließen!«
Thea Greif kam dem nach, so rasch sie konnte. Bewaffnete soll man nicht warten lassen.
»Wie viele Türen gibt es noch?«, bellte Pieper. Gleich darauf wusste er, dass es noch eine braune Tür gab, die aber ohnehin abgeschlossen war, dann nach hinten eine weiße und eine grüne. Pieper ließ alle verriegeln. Günter Greif, der gerade
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