Kramp, Ralf (Hrsg)
dem an dieser Stelle ein Horn wuchs, war beinahe gerührt. Aber nur beinahe. Weil Kevin dauernd auf die Schwellung starrte und kicherte. Blöder Balg!
Pünktlich nach der Seebestattung fuhr ein Rettungswagen vor. Er musste neben dem Fritz-von-Wille-Denkmal parken, weil näher am Café alles voller Streifenwagen stand.
Paul schrie aus dem Fenster: »Wo bleibt mein Hubschrauber?«
»Wir sind dran!«, erwiderte einer der Polizisten über Megafon.
»Und was ist mit dem da oben?«, verlangte Paul zu wissen.
»Das ist nur ein Zweisitzer«, rief man ihm zu.
Stimmt, er wollte ja mit einer Geisel fliehen.
Zwei Sanitäter in Weiß stiegen aus dem Rettungswagen, einer von ihnen trug eine weiße Baseballmütze, der andere war eine Frau. Die beiden redeten kurz mit dem Einsatzleiter und kamen mit einer Trage auf das Haus zu. Paul hob die SIG Sauer. Er hatte keine Ahnung, wie viel Schuss ihm noch blieben, aber er hätte zu gern tollkühn noch einen weiteren Warnschuss abgegeben. Da erkannte er in letzter Sekunde in der Sanitäterin seine Cousine Petra.
»Hab dich im Fernsehen gesehen«, freute die sich, als sie im Café war. »Geil!«
»Wer ist das?«, wollte Paul wissen und zeigte auf den Sanitäter mit der Baseballkappe.
»Das ist der Hannes. Ich hab den Rettungswagen von ihm gemietet.« Petra zwinkerte Hannes zu, der gut zwei Kopf kleiner und nur halb so breit war wie sie.
»Da hatte ich aber keine Ahnung, dass ich Mittäter in einer Geiselnahme werde. Der Preis schraubt sich gerade in die Höhe«, maulte Hannes.
»Nee, tut er nicht.» Petra fuhr wuchtig ihre Rechte aus, und Hannes sackte bewusstlos zu Boden.
»Stark!«, befand Kevin, das Lockenköpfchen.
Petra zog Hannes die weiße Sanitäteruniform aus, dann nahm sie eine Flasche Eifelblut-Likör mit Kirscharoma vom Tisch mit den Kriminalromanen und bespritzte sich und ihren Cousin mit rotem Likör. »Los, zieh das an. Wir sagen, du hättest die Geiseln gefoltert, das beeindruckt die Bullen, und wir können mit Blaulicht davonjagen«, sagte sie. Paul musste neidlos anerkennen, dass seine Cousine wirklich enorm praktisch veranlagt war.
»Du kommst mit!«, sagte Paul und schnappte sich Kevin. Kevin strahlte.
»Nicht unser Sohn«, flehte der Vater. Die Mutter schluchzte.
»Ich will auch mit!«, verlangte eines der Geschwisterchen. »Immer darf der Kevin, ich will auch!«
»Schnauze!«, befahl Paul.
Das Kind schmollte.
»Schrei doch die Kleine nicht so an!«, schimpfte Petra. »Du traumatisierst sie ja noch.«
»Ja genau!«, schmollte das Lockenköpfchen.
»Nein, die Jule darf nicht mit.
Ich
will die Geisel sein!«, verlangte Kevin. »Und ich will ein Eis!«
Jule plärrte: »Ich will aber auch ein Eis!«
Paul Pieper dachte nicht zum ersten Mal, dass er niemals Kinder haben wollte.
Paul und Petra wollten die bewusstlose Holländerin auf die Liege wuchten. »Nicht, das kitzelt«, juchzte die, als Paul seine Hände unter sie schob, um sie anzuheben.
Paul zuckte zurück und zückte seine SIG Sauer. »Die lebt ja noch!«, rief er.
»Das ist doch schön, dass sie noch lebt! Jetzt freu dich doch! Was ist denn heute mit dir los?« Petra sah ihn kopfschüttelnd an.
Paul atmete schwer aus. Das war heute nicht sein Tag!
Die hagere Filzträgerin lugte über die Kuchentheke. Draußen vor dem Fenster sah man einen vorwitzigen Kameramann, der Nahaufnahmen von der Geiselnahme machen wollte, aber gleich darauf von der Polizei weggezogen wurde.
»Ich habe gehört, die Privatsender zahlen ein irres Geld für Exklusivberichte von Geiseln«, sagte die Hagere.
»Ach, echt?«, fragte der Familienvater, dem man förmlich ansah, wie es zahlentechnisch in ihm ratterte. Er musste schließlich drei Kinder großziehen.
»Ja, im oberen fünfstelligen Bereich!« Die Hagere nickte.
Bei dem Familienvater und seiner Frau klingelte die imaginäre Kasse. Man hörte förmlich das
Katsching
.
»Noch haben Sie das hier nicht lebend überstanden!«, drohte Paul und wollte wieder mit der Waffe fuchteln. Die Geiseln, die schon wussten, was gleich kam, duckten sich verschreckt. Nicht so Petra. Sie riss Paul die Waffe aus der Hand. »Hast du sie noch alle? Wenn sich hier ein Schuss löst, kann Schlimmes passieren!« Paul duckte sich jetzt auch, weil Petra so aussah, als ob sie ihm gleich eine Ohrfeige versetzen wollte.
»Du hast doch keine Ahnung, wie man eine Geiselnahme korrekt durchführt!«, beschwerte sich Paul aus der Tiefergelegten. »Da muss man klare Ansagen machen.«
»Als
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