Kramp, Ralf (Hrsg)
geben.«
»Ach, das tut mir leid. Gleich zwei an einem Abend. Naja, die richten ja auch viel Schaden an.«
Mehr als du denkst, sprach ich still in mich hinein, während ich ihm eine Gute Nacht wünschte. Dann strich ich noch einmal über Renates Haar. Ich hatte ihre Leiche in eine Decke gehüllt und auf den Beifahrersitz gesetzt. Noch einmal sollte sie mir nahe sein. Den Arm, den ich ihr unvorsichtig mit dem Spaten abgetrennt hatte, hatte ich auf das Armaturenbrett gelegt. Ich hatte ihre zarten schmalen Finger immer geliebt.
»Du warst kein Luder«, sagte ich zu ihr. »Der Jürgen hat keine Ahnung. Du warst einfach die liebevollste Frau der Erde und konntest nie genug bekommen.« Sie antwortete nicht und starrte auf die Straße. »Wir hätten vielleicht doch einfach abhauen sollen, wie wir es vor einer Woche im Scherz gesagt hatten. Der Jürgen war nichts für dich.« Während ich in Richtung meines Forsthauses fuhr, nahm ich die tote, kalte Hand, die ich so oft in den letzten Wochen gespürt hatte. »Aber jetzt bleibst du bei mir. Ich konnte dich nicht einfach dort lassen, auf dem Luderplatz. Du kommst zu mir. Ich werde dir in meinem Garten den schönsten Platz geben, den du dir vorstellen kannst. Und dann sind wir für immer zusammen.« Ich zog die Hand zurück, um bei der Abbiegung zu meinem Forsthaus hochzuschalten. Ich hätte sie doch wirklich nicht dort lassen können. Das wäre nicht schön gewesen, gar nicht schön.
Kerpener Katastropheneinsatz zu Kwasimodogeniti
T ATJANA K RUSE
1. Akt: Wie das Faulfieber nach Kerpen kam
An diesem weißen Sonntag im April, den man früher Quasimodogeniti nannte, fand im
Kleinen Landcafé
in Kerpen – sechs Kilometer von Hillesheim, hundert Kilometer von Köln, neuneinhalbtausend Kilometer von Kapstadt entfernt, 470 Meter über Normalnull, staatlich anerkannter Erholungsort, Bundessieger 1993 mit Goldplakette(!) im Wettbewerb »Unser Dorf soll schöner werden« – eine Vernissage mit Fotografien von Michael Jäger statt. Thea Greif, die ihren Gästen mehr herzliche Gastgeberin war als einfach nur Wirtin, begrüßte jeden persönlich, schenkte Prosecco aus, reichte Häppchen.
Paul Pieper, dessen jüngere Cousine ihn immer
Faulfieber
zu nennen pflegte, als sie noch kein
p
, sondern nur ein
fff
sprechen konnte, nahm sich eine Ecke vom Flammkuchen d’Alsace mit Speck und Zwiebeln und betrachtete kauend sein Konterfei.
Es hatte ihn seinerzeit völlig unverhofft erwischt. Der Fotograf hatte ihn in Köln auf der Straße angesprochen und ein Doppelporträtfoto von ihm und einem anderen Passanten geschossen, und jetzt hing er da an der Wand des Cafés, in dem es offenbar ständig Wechselausstellungen gab, und zwar direkt neben dem Doppelkopf von Lothar Matthäus und Dieter Bohlen. Es war ein grandioses Foto, und die Vorstellung, neben Prominenten ausgestellt zu werden, hatte Paul Pieper veranlasst, extra nach Kerpen zu reisen. Obwohl nach ihm gesucht wurde. Nicht einfach nur gesucht, beispielsweise von einer sitzengelassenen Geliebten oder einem aufgebrachten Gläubiger, nein vom BKA und von Interpol! Er war schließlich nicht irgendwer, er war Paul Pieper, international gesuchter Bankräuber. Unterm Strich hatte er schon mehrere Millionen gestohlen. Nicht im einstelligen, nicht im zweistelligen, nein, im dreistelligen Millionenbereich! Okay, das war eine rein rhetorische Summe, von Versicherungen ausgerechnet, weil er einmal versehentlich ein Bankschließfach mit Diamanten aus irgendeinem Königshaus geknackt hatte. Die war er übrigens bis heute nicht losgeworden. An Bargeld war bislang gerade mal etwas über eine Million zusammengekommen. Aber immerhin!
Ein südamerikanischer Schönheitschirurg hatte ihm schon drei Mal ein neues Gesicht verpasst. Langsam erinnerten seine Züge an eine Fratze, und eine neuerliche Operation hatte sogar der Südamerikaner abgelehnt. Nun stand Paul Pieper also vor dem Foto, das sein Gesicht zeigte, wie es vor einem guten Jahr noch ausgesehen hatte. Also völlig anders, weshalb ihn auch der anwesende Fotograf nicht erkannte. Pieper nahm sich vor, dem Chirurgen eine Dankeskarte nach Buenos Aires zu schicken. Er hätte, als er sich so an den Bruchsteinwänden des gemütlichen Cafés hängen sah, seinen Stolz gern mit jemand geteilt, aber er war ja allein.
Petra Pieper, Pauls Cousine und Bankräuberpartnerin, lag zeitgleich in ihrem weißen Himmelbett unter dem Dach des
All Seasons Bed & Breakfast
im nahe gelegenen Loogh und genoss ihr spätes
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