Kramp, Ralf (Hrsg)
einem Teller Coq au Vin liegen. Ein Schutzpolizist hat ein Päckchen Rattengift im Schrank unter der Spüle gefunden. Seine Frau steht in Handschellen in der Küche. Ist geständig. Fünfundzwanzig Jahre in der Berliner Mordkommission lassen sich eben nicht einfach abschalten. Sie hinterlassen ein Gespür für Motive.
Der Herbstregen klatscht gegen das Fenster. Fünf Jahre sind das schon. Vor fünf Jahren sind wir von Berlin in die Eifel gezogen. Ich denke an meine Kinder. Tina und Kerstin studieren in Berlin und London. Nadja wollte wieder arbeiten, ihre Karriere als Journalistin wieder aufnehmen. Erfüllung finden. Mit Ende vierzig und zwanzig Jahren Berufspause landet man dann hier: Im Weindorf Dernau in der Eifel. Im Wohnzimmer eines lokalen Verlegers, der sich für Axel Springer hält. Früher schrieb Nadja bei der
taz
über internationale Beziehungen. Heute schreibt sie über die Turniere im Wittlicher Judoclub oder den Rückgang der Gästezahlen in der Region.
Richard öffnet die nächste Flasche Wein. Die letzte steht halb voll auf der Kommode hinter ihm. Zu jedem Gang gehöre ein neuer Wein, verkündigt er und ruft in die Küche, wann der Zwischengang fertig sei. Nadja wirft mir einen strengen Blick zu. Sie merkt, dass ich abwesend bin, in meinen Gedanken kreise. Das hasst sie.
Immerhin bringe ich inzwischen keine Fälle mehr mit nach Hause. Als Kommissar der Polizeidirektion Mayen verfolgen mich keine Drogentoten mehr. Keine aufgeschwemmte Spree-Leiche raubt mir den Schlaf. Jetzt jage ich einem Brennholzdieb hinterher und suche nach einer verschwundenen Weinkönigin, die seit drei Tagen vermisst wird. Einundzwanzig Jahre alt, 1,78 m, blond, trägt ein Trachtenkleid – so steht es in der Vermisstenanzeige. Zuletzt gesehen am Sonntag beim Abschluss-Feuerwerk des Winzerfests in Dernau. Sie hat am Stand des Weinguts Meinstein angestoßen. Der junge Winzer Meinstein, der dort ausgeschenkt hat, meint, sie sei um 1:00 gegangen. Allein. Danach hat sie niemand mehr gesehen.
Morgen früh stelle ich die Suche ein. Es gibt keine Hinweise, dass ihr etwas zugestoßen ist. Vor ihrer besten Freundin hat sie damit geprahlt, nach Paris zu gehen, um Model zu werden. Und es steht einem erwachsenen Menschen zu, sein Glück zu suchen, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Wahrscheinlich kommt sie in ein paar Wochen mit einem Rucksack voller geplatzter Träume zurück.
Dem Bürgermeister wird nicht gefallen, dass ich die Suche einstelle. Denn er fürchtet um den Ruf des Festes und um die Touristen. 1971 ist schon mal eine Weinkönigin gleich nach dem Winzerfest verschwunden. Damals hat man sogar Hunde eingesetzt. Die haben ihre Spur an einem Weinberg außerhalb des Ortes verloren. Die Suche wurde auch eingestellt.
Und ganz ehrlich. Ich kann beide Mädchen verstehen. 1.450 Sonnenstunden im Jahr, Weinberge und romantische Felsschluchten am Ahrufer mögen im Tourismusprospekt gut klingen. Meine Töchter hat das in fünf Jahren noch nicht hergelockt. Die weite Welt ist eben woanders.
Jetzt gibt es Salat und Thunfischtatar. Richard schenkt einen neuen Weißwein nach.
»Das ist ein 2009er Sauvignon blanc aus dem Bordeaux«, erklärt er. »Der Winzer hat sich dem organischen Weinanbau verschrieben. Nach Demeter eine deutsche Anbauphilosophie. Leicht kiesiger Geschmack mit einer ganz feinen Säure. Passt herrlich zum Fisch.«
Ich schmecke wieder nur Wein. Dieses ganze Gerede darüber, wie ein Wein riecht und schmeckt, ist doch nur ein egozentrischer Trick. Wer als Erster behauptet, »Kies« zu schmecken, steht als Weinkenner da. Und die anderen können gar nichts anderes mehr schmecken. Aus demselben Grund befragt man Zeugen getrennt voneinander. Wer eine Zeugenaussage mithört, passt seine Aussage automatisch an. Das passiert unbewusst. Menschen wollen lieber zustimmen als widersprechen.
»Demeter?«, fragt Nadja, »Das sind doch die mit dem Kuhhorn.«
»Genau! In der Demeter-Philosophie glaubt man daran, dass ein mit Mist gefülltes Kuhhorn bei Vollmond im Weinberg vergraben das Terroir für das nächste Jahr positiv beeinflusst«, sagt Richard und schlürft einen Schluck.
»Terroir?«, fragt Nadja.
Sie gibt sich heute wirklich Mühe, ihren Chef bei Laune zu halten.
»Terroir ist das französische Wort für die Beschaffenheit des Bodens, auf dem der Wein wächst«, doziert Richard, »die Gesteinsschichten, der Lehm, die Lage, die Mineralien, die Mikroorganismen. All das verschmilzt im Geschmack des Weines. Ein guter Winzer
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