Kramp, Ralf (Hrsg)
will das Terroir aus seinen Weinen sprechen lassen. Man muss den Boden schmecken.«
»Und dann vergräbt man ein Kuhhorn mit Scheiße? Für den Geschmack?«, platzt es aus mir heraus. Nadjas Mundwinkel spannen sich. Richards Frau sieht mich mit erschrockenen Augen an. Eine unangenehme Pause. Ich versuche die Situation zu retten, wissenschaftlicher zu klingen.
»Ich meine das rein biologisch betrachtet. Ein paar Bakterien in einem Kuhhorn dürften kaum ausreichen, um einen Boden zu verändern. Allein in einem Quadratmeter Erde befinden sich doch Tausende von Lebewesen.«
In Richards Stimme vibriert Wut über meinen Widerspruch.
»Die Kunst des Weinanbaus lässt sich nicht in Logik und Wissenschaft pressen«. Er kanzelt mich ab. »Das Kuhhorn, das ist wie Homöopathie für den Boden. Es hat etwas mit Magie zu tun. Mit Glauben. Mit der ständigen Suche eines guten Winzers nach dem perfekten Bouquet.«
Was für ein Geschwafel. Noch eine Stunde und ich kaufe das Rattengift. Richards Frau nimmt meinen Teller. Ich wende mich von Richard ab und flüstere ihr zu, dass es lecker war. Sie lächelt kurz.
»Sie hören mir ja gar nicht zu? Sie denken, ich spinne!« Richard ist lauter geworden, sieht mich mit blitzenden Augen an.
»Nein, nein. Ich hab wahrscheinlich nur noch nie einen Wein getrunken, der nach Terror schmeckt«. Nadja zuckt zusammen. Richards Frau kichert. Richard überhört es. Er ist von seinem Stuhl aufgesprungen.
»Das kann ich ändern!«, sagt er und stürmt aus dem Raum. Ich stöhne innerlich und äußerlich. Nadja stößt mir den Ellbogen in die Rippen. »Reiß dich zusammen«, flüstert sie. Vier Minuten später ist Richard zurück mit einer weiteren Flasche Wein.
»Lieber Sören«, sagt er zu mir und pustet den Staub von der Flasche. »Ich möchte Ihnen ein Geschenk machen. Um die Magie des Terroir zu beweisen, werde ich diese Flasche öffnen.« Richard macht eine dramatische Pause. »Das ist ein einundvierzig Jahre alter Kloster Meinstein Jungfernblut. Die teuerste Flasche, die ich besitze. Einer der besten Spätburgunder, die je in Deutschland gemacht wurden. Und er kommt aus unserem schönen Dernau.«
Er reicht mir die Flasche vorsichtig wie einen Goldbarren. »Mein Vater hat diese Flasche vom alten Meinstein persönlich bekommen. In jeder Generation ist es diesen ehrgeizigen Winzern gelungen, einen solchen Jahrhundertwein zu schaffen. Kenner munkeln bereits, der kommende Jahrgang werde von ähnlicher Qualität sein.«
Ich drehe die schwere Flasche in meiner Hand. Das Etikett ist in Fraktur geschrieben. Eine mittelalterliche Zeichnung zeigt eine Jungfrau. Aus ihren ausgestreckten Armen wachsen Reben. Ich blicke auf den Jahrgang. 1972. Ein Jahr, nachdem die Suche nach der ersten Weinkönigin eingestellt wurde.
Richard öffnet vorsichtig die Flasche.
Ich halte meine Nase in das Weinglas. Dieses Mal rieche ich dunkle Beeren und schwarzen Pfeffer. Voller Erstaunen halte ich das Glas gegen das Licht. Noch nie habe ich so ein leuchtendes Rot gesehen. Richard lächelt mich an. Ein Siegerlächeln.
Richard spricht einen Trinkspruch. Er dankt seinem Vater und dem Winzer Meinstein für diesen Tropfen. Eine schwere Süße benetzt meine Lippen. Ein kraftvolles Beerenaroma, untermalt von Eichenwürze, breitet sich in meinem Mund aus. Ich will den Wein schlürfen. Will ihn im Mund hin und her bewegen, jede Beere einzeln aus der Flüssigkeit herauslutschen.
Am Tisch ist es totenstill. Ich werde nie mehr einen normalen Wein trinken können, ohne an diesen in Wehmut zu denken. Da bricht Richard das Schweigen.
»Fantastisch«, stöhnt er und atmet über dem Glas lautstark ein. »Was die wohl in ihrem Weinberg vergraben, um einen solchen Wein zu schaffen?«. Wir alle lachen. Sogar Richards Frau. Mein Lachen erstickt. Nein, das kann nicht sein. Das ist doch verrückt! Ich springe vom Tisch auf, werfe mein halbvolles Weinglas um. Richard quiekt vor Schreck.
»Ich muss ins Büro«, stammle ich. »Ich muss die Spurensicherung aus Koblenz rufen. Und einen Bagger.« Nadja starrt mich wütend an. Sie versteht nicht. Fünfundzwanzig Jahre in der Berliner Mordkommission lassen sich nicht einfach abschalten. Sie hinterlassen ein Gespür für Motive.
Unter den Gräbern von Gillenfeld
R ALF K RAMP
Im grellen Licht der Schweißflamme tanzten bizarre Schatten um ihn herum. Ein glühender Funkenregen prasselte zu Boden. Maternus Zillgen arbeitete ruhig und gewissenhaft. Er musste mit äußerster Präzision zu Werke
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