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Kramp, Ralf (Hrsg)

Kramp, Ralf (Hrsg)

Titel: Kramp, Ralf (Hrsg) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatort Eifel 4
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hatte die Gabe, die Leute auszufragen, ohne dass sie es merkten. Ob in der Bäckerei Kalsch, ob bei Müllers an der Metzgereitheke – er wusste schon bald mehr über Olivia, als jeder andere im Dorf.
    Als er sich irgendwann ein Herz fasste, wählte er ihre Telefonnummer. Er hatte sich tausend Pläne zurechtgelegt. Er wollte sie auf einen Kaffee einladen, wollte sie zu einem Spaziergang überreden, wollte mit ihr nach Daun ins Kino fahren ... Aber als es im Hörer tutete, war sein Kopf plötzlich wie leergepustet.
    »Hallo und einen guten Tag, dies ist der Anschluss von Olivia Osterhoven. Leider bin ich im Moment nicht zu Hause und kann Ihren Anruf nicht persönlich entgegennehmen. Bitte hinterlassen Sie mir eine Nachricht nach dem Piepton.« So frisch, so gut gelaunt, so offenherzig!
    Natürlich hatte er keine Nachricht hinterlassen, sondern hatte nur ihrer Stimme gelauscht und sich wieder vorgestellt, wie ihre Lippen ein O formten. Als werfe sie ihm einen Kuss zu.
    Dann hatte er erneut gewählt.
    »Hallo und einen guten Tag, dies ist der Anschluss von Olivia Osterhoven.«
    Und noch einmal.
    »Hallo und einen guten Tag, dies ist der Anschluss von Olivia Osterhoven.«
    Sie sprach mit ihm. Mit ihm ganz persönlich. Das war gut.
    Seither tat sie es fast täglich. Oft vierzig Mal oder öfter.
    Maternus Zillgen ging zur Toilette und kehrte dann in seine Werkstatt zurück. Aus einem Karton nahm er acht kleine Schachteln mit Energiesparlampen. Dann löschte er in der Werkstatt das Licht und ging durch die zweite Tür ins angrenzende Sarglager.
    Wieso musste er plötzlich an diesen Alfred Kaulen denken? Dieser Kerl hatte ihm vom ersten Moment an quergelegen, in dem er ihn in seiner Schottenmuster-Montur gesehen hatte. Er war einer der Trommler der
Lion Pipes & Drums
aus Dudeldorf in der Bitburger Gegend. Ein Sanitärheini, der das tat, was Maternus zu gerne tun würde: Er durfte Olivia im Arm halten. Sie hatte ihn kennengelernt, als seine Firma in ihrer Schule die Toilettenanlage erneuert hatte.
    Auf der Raiffeisenkasse hatte Maternus erfahren, dass die beiden sich sogar schon verlobt hatten. Das war keine gute Nachricht.
    Eines Tages, als er wieder bei ihr angerufen hatte, war der Typ sogar ans Telefon gegangen.
    Maternus war der Meinung, dass er das nicht dulden konnte und hatte begonnen zu überlegen, was zu tun war.
    Er lieh sich fortan ab und zu in Trier tageweise einen Kleinwagen aus, um Kaulen zu überwachen. Mit seinem Leichenwagen wäre das kaum möglich gewesen.
    Kaulen pendelte zwischen seinem Wohnort in Dudeldorf, seinen jeweiligen Arbeitsstellen und Olivias Haus in Gillenfeld.
    Maternus wusste, dass keinerlei Verbindung zu ihm hergestellt werden durfte, und so beschloss er, die Sache außerhalb der Eifel zu erledigen. Bei einem Gastauftritt des Dudelsackorchesters in Saarbrücken verschwand Alfred Kaulen spurlos. Seine Musikerkollegen, seine Familie, keiner wusste später etwas über sein plötzliches Verschwinden im Saarland zu sagen.
    Maternus zillgen hatte in seinem Leben zwar schon zahlreiche Leichen getragen, aber erst seit dem Tag, an dem er Kaulen mit einem Messer niedergestochen hatte, wusste er, wie schwierig es war, einen erwachsenen Mann im Kofferraum eines Renault Twingo unterzubringen.
    Das Umladen in den Leichenwagen und die endgültige Entsorgung im frisch ausgehobenen Grab der jüngst verstorbenen ältesten Einwohnerin seines Heimatortes waren dagegen ein Kinderspiel.
    Die Wellen, die die Suche nach dem Vermissten schlugen, erreichten auch Gillenfeld. Schließlich wohnte hier seine Verlobte. Wann immer Maternus ihr begegnete, war sie in Gedanken verloren und hatte ein trauriges Gesicht aufgesetzt. Er hätte sie nur zu gerne getröstet, aber dazu fehlte ihm der Mut. Fast war er froh, wenn sich bei seinen Telefonaten immer nur ihr Anrufbeantworter meldete, auf dem ihn jetzt ein neuer, deutlich reduzierter Spruch empfing: »Hallo. Olivia Osterhoven. Bitte sprechen Sie nach dem Ton.«
    Egal, was sie sprach, es blieben ihm drei Os. Drei heiße Küsse.
    An der hinteren Wand des Sarglagers schob er einen Teil der alten Täfelung zur Seite. Nur er konnte erkennen, um welche Holzplatte es sich handelte. Mithilfe einer Dämmplatte hatte er dafür gesorgt, dass es nicht einmal hohl klang, wenn man dagegen klopfte. Der Einstieg lag zwischen seinem Bestseller, dem rustikalen Eichensarg, und einem schwarz lackierten Exemplar mit Kunststoffgriffen. Die Holztafel glitt geräuschlos in den Schienen hin und her.

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