Kramp, Ralf (Hrsg)
einem weichem Feld- und später Waldweg laufen konnte, der Manderscheid umging und über freies Gelände bis zur Autobahnauffahrt führte.
Schon von weitem sah Jost den Geländewagen mit dem Pferdeanhänger am Straßenrand warten. Pierre schien die Stirnlampe entdeckt zu haben, denn er schaltete das Standlicht ein, aus, ein, aus. Er öffnete die Fahrertür und stieg aus. Breitbeinig stellte er sich neben sein Auto. Vor dem Gesicht glomm sein ewiges Zigarillo auf. Hinter ihm, auf der Autobahn, wanderten vereinzelte Scheinwerfer von Süden nach Norden und umgekehrt.
Eine Pferdelänge vor Pierre brachte Jost Sunshine zum Stehen.
»Da sind wir!«, rief er und sprang ab.
»Das wurde auch Zeit«, meckerte Pierre und nahm dazu sein Zigarillo nicht aus dem Mund. Er würdigte Sunshine keines Blickes, trat an die Rückseite des Pferdeanhängers, öffnete die Riegel und ließ die Ladeklappe herunter. »Mach schon! Rein mit ihr!«
Als ihre Hufe die erste Trittleiste der Klappe berührte, ging sie prompt rückwärts.
»Ganz ruhig!«
Aber nichts war gut. Jost lockte mit Zucker, zerrte und redete auf sie ein wie auf einen störrischen Esel. Schließlich stieg er selbst in den Anhänger und zog und lockte wieder mit Zucker, während Pierre von hinten schob und schimpfte und fluchte.
»Scheißgaul!«
»Ich versteh das auch nicht«, rief Jost. »Sie ist bestimmt nur nervös, weil sie uns nicht kennt, weil es Nacht ist und überhaupt ...«
»Vor allem überhaupt!«
Irgendwann gab Sunshine nach, folgte den Lockrufen und ließ sich in den Anhänger verfrachten. Jost band sie fest und sprang heraus. Pierre schloss die Ladeklappe und verriegelte sie. Innen schlug Sunshine gegen die Wände und wieherte ihren Ärger in die nächtliche Stille hinaus. Durch die beiden Fensterluken sah man sie ihren Kopf hin und her werfen. Ihre Augen funkelten.
»Ruhe da drinnen!«, schrie Pierre und stieg in sein Auto.
Jost warf sich neben ihn auf den Sitz und los ging die Fahrt. Pierre schwieg und kaute auf seinem Zigarillo. Jost fühlte sich zunehmend unwohl neben ihm. Unruhig blickte er sich nach dem Anhänger um, als sie auf die Autobahn auffuhren. Hoffentlich ging alles gut. Die Autobahn war leer, und Pierre gab Gas. Bei Mehren stieß die E44 auf die A1, und sie folgten ihr über Wittlich bis Schweich. Pierre scherte sich den Teufel um Geschwindigkeitsbegrenzungen, und er schwieg, beharrlich.
Jost versank im Beifahrersitz, schloss die Augen und verfluchte sein Schicksal. Er säße jetzt nicht hier, einer zickigen Stute und einem jähzornigen Pierre ausgeliefert, wenn er bloß mit Geld umgehen könnte. Aber es zerrann ihm zwischen den Fingern. Das war schon immer so gewesen. Es schmolz einfach dahin. Schon als Kind war er nie mit seinem Taschengeld ausgekommen. Mit kleinen Tricksereien und Ladendiebstählen hatte er sich über Wasser gehalten. Später in der Ausbildung war es nicht besser gewesen. Kaum hatte er als Reitlehrer sein erstes Gehalt kassiert, war es auch schon so gut wie weg, weil er alte Schulden begleichen musste. Er war einfach zu großzügig und fiel immer auf die Falschen herein. Lieh er Freunden Geld, tauchten sie prompt unter. Lernte er eine Frau kennen und überhäufte sie mit Geschenken, machte sie prompt mit ihm Schluss. Kaufte er ein Auto, gab es prompt kurz darauf seinen Geist auf. Es war wie ein Fluch!
Jost musterte Pierre von der Seite. Mit ihm war es bestimmt anders. Er hatte ihn auf dem Nettersheimer Pferdemarkt getroffen. Auch wenn er jähzornig war, auf ihn konnte er sich verlassen. Hatte er nicht zur verabredeten Zeit am verabredeten Ort gestanden?
Bei Sirzenich, auf der Höhe von Trier, kehrten sie auf die E 44 zurück und Jost räusperte sich. »Jetzt haben wir es bald geschafft.« Pierre brummte etwas Unverständliches.
Sie überquerten die Grenze nach Luxemburg auf der beeindruckenden Sauertalbrücke. Jost hatte freie Sicht, als säße er in einem landenden Flugzeug. Der Geländewagen mit dem Pferdeanhänger nahm die erste Ausfahrt, wo ein erleuchteter
Burger King
und ein
Pizza Hut
um den Besuch hungriger Kunden wetteiferten. Ein Kreisverkehr schleuste das Gespann ans Ufer der Sauer, in die Stadt Wasserbillig hinein und schickte es über die Rue du Bocksberg wieder hinaus, über die Autobahn hinweg in den Hearebosch, wo es in einen ehemaligen Reiterhof einfuhr, wo Pierre seinen verschwiegenen Umschlagplatz für seinen Pferdehandel hatte.
»Bring sie in die Reithalle«, kommandierte Pierre.
»Wird
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