Kramp, Ralf (Hrsg)
gemacht.«
Sunshine war schneller aus dem Anhänger geführt, als sie hinein zu bugsieren gewesen war. Im dämmrigen Licht des Stalls griff Jost nach einer Longe und einer Longierpeitsche und führte Sunshine mit beruhigenden Worten über den weichen Sandboden in die Halle. Er ersetzte die beiden Stricke durch die Longe und nahm in der Mitte der Halle Position ein. Widerwillig begann Sunshine im Kreis zu trotten und ließ dabei müde den Kopf hängen. Mondlicht fiel durch die hoch liegende Fensterreihe und warf einen langen Schatten auf den sandigen, aufgewühlten Boden.
Jost konnte die Anspannung kaum aushalten. Gleich würde die Entscheidung über seine Zukunft fallen. Pierre hatte ihm weitere Transaktionen wie diese in Aussicht gestellt. Wenn alles klappte, sollte Jost ihm neue Pferde bringen. Leichter konnte Jost gar nicht an Geld kommen. Wenn er genug beisammen hatte, wollte er einen Hof kaufen und eine Reitschule aufmachen ... er zuckte zusammen.
Die Reithalle war plötzlich in grelles Neonlicht getaucht. Pierre, die Hand noch auf dem Lichtschalter, stand in der Türschwelle. Sein Blick hypnotisierte Sunshine. Er näherte sich ihr mit langen Schritten und begutachtete sie, prüfte sie von den Zähnen bis zu den Hufen. Zum Schluss tätschelte er ihren Hals und sagte: »O. K. Ich würde für dieses Pferd zwar keine 15.000 Euro bezahlen. Muss ich ja auch nicht. Bring sie in den Stall. Die letzte Box ist frei.«
Jost schlief diese Nacht im Stall, Pierre oben in seiner Wohnung.
Am nächsten Morgen rief Pierre in seinem Büro auf einem seiner vielen Handys im Reitsportverein Gerolstein an und sagte ohne lange Vorreden: »Wir haben Sunshine. 15.000 Euro und wir bringen Sie unbeschadet zurück.«
Jost saß vor ihm und beobachtete ihn gespannt. Das machte 7.500 für jeden. Er sah das Geld schon auf seinem Konto. Endlich wieder schwarze Zahlen!
Plötzlich wechselte Pierres Gesicht die Farbe. Er richtete sich auf. Schweißtropfen traten auf seine Stirn. »Wie bitte?«, schnaubte er. »Sie irren sich. Das kann nicht sein.«
Jost hörte lautes Gelächter im Telefon und fuhr von seinem Stuhl hoch.
»Ist das Ihr letztes Wort?« Pierre wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und horchte auf den Redeschwall im Telefon. Dann drückte er das Gespräch weg und warf das Handy im hohen Bogen durch sein Büro. Es knallte gegen den Aktenschrank und schepperte auf den Boden.
»Was ist?«, rief Jost wie von Sinnen. »Was ist denn los?«
Pierre sprang auf und schrie: »Verschwinde!«
Wie Kampfhähne standen sie sich gegenüber.
»Was haben Sie denn gesagt?«
Pierres Hand wies zur Tür. »Nimm deinen Scheißgaul und zieh Leine! Ich will dich hier nie wieder sehen!«
»Aber, aber ...!«, schrie Jost außer sich. »Das ist bestimmt nur eine Falle, um das Lösegeld zu drücken. Wir könnten ...«
Pierre ließ sich in seinen Sessel fallen und schlug die Hände vors Gesicht. »Du hast den falschen Klepper geklaut, Mann, einen, den keiner wieder haben will. Sie heißt Mary.« Er spuckte den Namen aus, als sei er verflucht. »Deine Sunshine steht in Gerolstein in ihrer Box und freut sich des Lebens und die Gerolsteiner lachen sich über uns kaputt!« Er lachte höhnisch auf. »15.000 Euro! Der Gaul da unten ist keine 500 wert.«
»Das kann nicht sein!«
Pierre stöhnte auf. »Sie haben gestern die Boxen getauscht, du Idiot!«
»Warum denn?«
»Was weiß ich? Keine Ahnung. Interessiert mich auch nicht.«
»Was soll ich denn jetzt mit Sunshine, eh, ich meine, mit dieser verflixten Mary machen?«, fragte Jost und breitete ratlos die Arme aus. Sein Gehirn war blockiert.
»Dein Problem.«
»Hör zu«, begann Jost, der nicht wahrhaben wollte, dass alles den Bach hinunterging. »Ich bringe das in Ordnung. Ich jag sie einfach weg und besorge dir ein neues Pferd. Du wirst sehen, so etwas passiert mir nie wieder!«
»Verschwinde!«, sagte Pierre leise, aber umso bedrohlicher. »Geh mir aus den Augen!«
Als Jost Mary aus der Box holen wollte, zog sie die Oberlippe hoch und bleckte stolz eine Reihe alter, gelbbrauner zähne, als lache sie ihn aus. Er inspizierte ihre Stirn. Das fingernagelgroße Abzeichen, die Flocke, fehlte tatsächlich. Wortlos führte er sie zum Ausgang. Umsonst bettelte sie um zucker. Draußen zog er ihr das Halfter ab und gab ihr einen derben Klaps auf das Hinterteil: »Hau ab! Lauf! Verschwinde! Zieh Leine! Lass dich hier nie mehr blicken!«
Das ließ sich Mary nicht zweimal sagen und
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