Kramp, Ralf (Hrsg)
ist sie denn?«
Ein kräftiges Schnauben war die Antwort und alle – sogar Jost – drehten ihre Köpfe in Richtung Weide, wo Mary am zaun stand und die zähne bleckte.
»Meine brave Mary ist wieder da!«, rief Walther und riss die Arme hoch.
Scheißgaul
.
»Du musst einen Arzt rufen!«, erinnerte ihn das Mädchen ohne Reithelm.
Walther winkte ab. »Ist ja nur eine kleine Beule.« Er zog eine Handvoll Möhren aus einer ausgebeulten Tasche seiner abgewetzten Wachsjacke und sagte zu den Mädchen: »Hier! Verwöhnt die Mary mal ein bisschen, sie hat es verdient. Lauft! Ab mit euch!«
Als er mit Jost allein war, beugte er sich über ihn und sagte: »Einen Bart hattest du aber früher nicht.«
Korrekt!
Traurig schüttelte er den Kopf und sagte: »Da hat uns die brave Mary also den Missetäter gebracht. Was ist nur aus dir geworden, Mann? Du warst mal ein richtig guter Reitlehrer.«
O ja, das war ich
.
»Und jetzt bist du ein gemeiner Pferdedieb und ein mieser Erpresser obendrein. Warum machst du bloß immer so einen Mist, he?«
Jost zuckte die Achseln und gestand stockend: »Ich brauchte das Geld.«
»Geld?!« Walther griff sich an den Kopf und rief. »Jetzt weiß ich, wer du bist! Hans Kerneberger. Der Mann, der in unsere Vereinskasse gegriffen hat!« Er schlug sich auf die Schenkel und lachte ein lautes, schäbiges Lachen, das über den ganzen Hof schallte.
Und Mary stimmte mit einem übermütigen Wiehern ein.
Haha. Ich lach mich tot
.
Feuerfalter
K LAUS S TICKELBROECK
Harry hockte sich neben mich an die Theke und beugte sich zu mir rüber. »Ich hab was. Ein heißes Eisen.«
Harry und ich hatten in der Vergangenheit bereits drei oder vier Mal sehr erfolgreich zusammengearbeitet. Tankstellen, ein Baumarkt, ein Discounter, so was. Deshalb zeigte ich mich interessiert und hob fragend eine Augenbraue.
»Ein
ganz
heißes Eisen. Kennst du Stadtkyll?«
Ich nickte. Stadtkyll kannte ich. Ich hatte beruflich mal in der Nähe zu tun gehabt. Irgendeine Bank in Prüm. Ein schöner, alter Ort. Vulkaneifel, um die 1500 Einwohner. An eine Sparkasse konnte ich mich allerdings nicht erinnern.
»Gibt es da eine Bank?«, fragte ich deshalb nach.
»Keine Bank.« Er rutschte noch ein bisschen näher heran. »Aber eine Hutmacherei.«
»Eine Hutmacherei?«
»Richtig.«
»Warum sollen wir in eine Hutmacherei einbrechen? Da ist doch nichts zu holen. Außer Hüte.«
»Wir wollen da nichts klauen. Pass auf! Wenn die Frau vom Prinz William in England demnächst zusammen mit der Queen ihrem Volk den frischen Nachwuchs präsentiert, dann machen die da im Buckingham-Palast immer ein offizielles Foto. Die Königin von England wird einen Hut tragen. Sie trägt immer einen Hut. Und auf die Farbe des Hutes kann man wetten. Die Engländer wetten auf alles. Die Queen hat einen eigenen Hutmacher. Und das ist ein Deutscher. Ich hab jetzt den heißen, den
ganz
heißen Tipp bekommen, dass sich dieser Hut aus irgendeinem Grund in Stadtkyll und dort in der Hutmacherei befindet. Wir brechen dort ein, gucken, welche Farbe der Hut hat, und wetten eine fette Summe Geld drauf. Und zack, haben wir mehr Kohle in der Kasse, als ne Tankstelle am späten Pfingstmontag.«
Ich blickte meinen Kollegen nachdenklich an. Harry war schon ein wenig merkwürdig. In seinen Cowboystiefeln mit Absatz und Eisenspitze brachte er es auf bestialische Einmetersechzig. Sein ansonsten fein geschnittenes, puppenhaftes Gesicht zierte völlig unpassend ein übergroßer Zinken. Die gleiche Baureihe, wie sie der liebe Gott auch Mike Krüger und Thomas Gottschalk mit ins Leben gegeben hat. Harry war ein schräger Typ, manchmal ein bisschen verrückt.
Spontan
ist vielleicht das schönere Wort. Musste man mit umgehen können.
Andererseits war Harry in der Eigentumsbranche ein begehrter Partner. Harry war so einer, der sich ein Haus von außen ansah und dann wusste, welche Alarmanlage drinnen eingebaut war und wie sie schnell ausgeschaltet werden konnte. So einen hält man sich warm. Aber eine Hutmacherei? Wetten in England?
»Und?«, keuchte Harry heiser. »Bist du dabei?«
Ich zog die Nase hoch. »Stadtkyll ist immer einen Ausflug wert.«
Bis in die Eifel war es nicht weit. Ich gab meiner getunten Sportschleuder auf der A1 fett die Sporen. Harry nutzte die Zeit, um mich über die englische Königsfamilie einerseits und den Luftkurort an der Kyll mit seinen Sehenswürdigkeiten und Highlights andererseits umfassend zu informieren. Er hatte sich einen Eifelführer und
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