Kramp, Ralf (Hrsg)
inzwischen genau 2345, mussten täglich gefüttert werden. Die Aquarien mussten gesäubert, neu bepflanzt und mit frischem Sand und Steinen gefüllt werden. Der größte Teil der ehemaligen Küche stand bis unter die Decke voller Kisten mit Fischfutter, Sand, Steinen und Aquarienzubehör. Er hatte alles genau inventarisiert. Wenn er sich die säuberlich geführten Bücher ansah, gestattete er sich jedes Mal einen Anflug von Stolz. Er hatte sich sogar einen genauen Zeitplan gemacht, wann was zu tun war. Sogar die Kaffeepausen hatte er nicht vergessen.
Auch auf die Idee mit dem Krankenhausaquarium war er stolz. Bemerkte er bei seinen Schützlingen Zeichen der Schwäche oder Krankheit, fischte er sie vorsichtig heraus und setzte sie ins Krankenhausaquarium. Dort konnte er sich intensiv um sie kümmern. Sie bekamen eine von ihm handgemischte Kraftnahrung, für die Schwerkranken hatte er eine spezielle Sauerstoffduschanlage entwickelt. Es gab sogar eine kleine Entbindungsstation.
Gedankenverloren schaute er auf den Eimer zu seinen Füßen und schreckte zusammen. Das Wasser lief schon über den Rand. Hastig drehte er den Hahn zu und erhob sich.
Bist du verrückt? hatte Hilde gefragt, als er zum ersten Mal vor dem Schlafengehen die Bettlaken angefeuchtet hatte, natürlich nur ganz leicht, um seine Frau nicht unnötig zu verschrecken. Er hatte in einem trockenen Bett einfach nicht mehr richtig schlafen können. Morgens war er jedesmal mit einer ganz wunden Haut aufgewacht und hatte nach Luft geschnappt. Wie ein Fisch auf dem Trockenen, hatte Hilde gesagt. Er war darüber erschrocken. Aber sie hatte ihn schon immer mit einer höheren Art von Genauigkeit durchschaut. Wirklich wütend war sie aber erst geworden, als er angefangen hatte, in gänzlich durchnässten Laken zu schlafen und nachts merkwürdige, blubbernde Laute auszustoßen. Im Nachhinein bewunderte er sie für ihre Geduld. Sie musste wirklich gelitten haben.
Ächzend nahm er den schweren Eimer auf und trug ihn vorsichtig ins Schlafzimmer hinüber zu seinem Bett, das zwischen hohen Wänden aus herrlich schimmernden Aquarien stand. Vor dem größten stellte er den Eimer ab. Diese kleine Pause gönnte er sich jeden Abend.
Da war sie, Hilde, in Lebensgröße. Sie schwebte mit dem Bauch nach unten, nackt und weiß, hinter der Glaswand. Meine Frau in ihrer ganzen Pracht, dachte Jonas und lächelte sie an. Sie hatte die Augen offen und sah fast lebendig aus. Ihre Haut war im Formalin durchscheinend geworden und schimmerte im gedämpften Licht wie Perlmutt. Wenn er genau hinschaute, konnte er überall an ihrem Leib die Äderchen sehen, die ein feines Netz unter der Haut bildeten. Die Hände und Füße wirkten wie Flossen.
Jonas erinnerte sich an die Vorarbeiten. Es war nicht leicht gewesen, so viel Formalin zu besorgen. Aber er hatte es geschafft, im Zeitraum eines halben Jahres die Formalinvorräte aller Apotheken von Dahlem über Prüm bis Gerolstein aufzukaufen. Hilde in der Badewanne zu ertränken war Schwerstarbeit gewesen. Sie war größer als er und ziemlich kräftig. Sie hatte sich bis zuletzt gewehrt. Aber er hatte es tun müssen. Er durfte sie unter keinen Umständen verlieren. Er hätte es nicht überlebt, wenn sie ihn verlassen hätte. Jonas schaute sie an. Wie schön sie war, schöner noch als lebendig. Und stiller. Wie ein weißer Wels, dachte er. Er liebte die Welse, die geheimnisvoll am Grund der Gewässer lebten.
Sein Blick wanderte nach oben. Da waren auch Uli und Jens, die beiden Jungen. Auch sie schwebten mit weißer Haut in ihrem Formalinbad. Ganz friedlich waren sie jetzt und ganz leise. Zwei kleine, blasse Robben … Jonas lächelte zufrieden. Seine Familie war bei ihm, auf eine Art, die er ertragen konnte.
Er nahm den Eimer hoch, ging hinüber zum Bett und schüttete das Wasser vorsichtig hinein. Zufrieden schaute er zu, wie es langsam versickerte. Die Laken waren nicht mehr weiß, sondern bräunlich und grünlich verfärbt. Sie fingen an, sich mit einer feinen Schicht aus Schlamm und Algen zu überziehen. Jonas zog sich gemächlich aus und betrachtete seinen Körper in der grün und blau spiegelnden Glasfläche der Aquarien. Von Tag zu Tag gefiel er sich besser. Sein Leib hatte eine bläulich-weiße Färbung angenommen, die Haut war ganz weich und fast durchsichtig geworden, fast wie die von Hilde und den Kindern.
Noch einmal drehte und wendete er sich vor den Augen seiner Lieben. Dann legte er sich ins Bett zwischen die nassen Laken. Das
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