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Kramp, Ralf (Hrsg)

Kramp, Ralf (Hrsg)

Titel: Kramp, Ralf (Hrsg) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatort Eifel 3
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Absicht drehte er den Hahn nicht ganz auf, so dass es länger dauerte, bis er voll war. Der Eimer stand in der Badewanne unter dem Hahn, und er konnte sich auf den kleinen Schemel daneben setzen, dem Strahl des Wassers zuschauen und die Gedanken fließen lassen wie das Wasser.
    Er war schon seit über einer Woche allein in dem alten Eifeler Bauernhaus, das idyllisch am Ortsrand von Kronenburg gelegen war, und das er in jahrelanger Eigenarbeit ausgebaut und renoviert hatte. Telefon und Zeitung waren abbestellt. Die Post stapelte sich auf dem Postamt in Jünkerath oder in irgendeinem Briefzentrum. Sie interessierte ihn nicht mehr. Nichts interessierte ihn mehr da draußen. Die Eifel hatte doch auch ihre Vorteile. Es war zwar sehr rau, aber auch sehr ruhig außerhalb der Touristensaison. Man konnte sich zurückziehen, ohne dass jemand nach einem fragte. Niemand wusste, dass er sich im Haus aufhielt. Den Nachbarn und Bekannten hatte er erzählt, er mache mit seiner Familie eine große Reise. Er hatte ausgerechnet, dass er es mindestens fünf Monate aushalten konnte, ohne das Haus zu verlassen. Es war auch nicht nötig. Er lebte von den riesigen Vorräten, die er damals eingekauft hatte, als Hilde noch mit den Kindern da gewesen war.
    Er hob den Blick vom Wasserstrahl.
    Hilde, seine Frau.
    Sie hatte es nicht mehr ausgehalten, vor allem nachts war es für sie zuletzt eine Oual gewesen. Wenn er an sie dachte, befiel ihn ein Gefühl von großer Trauer. Jens und Uli vermisste er weniger. Sie waren sieben und neun gewesen, in einem Alter, wo er sie als natürliche Feinde betrachten musste. Zeitweise hatte er sie gehasst. Alles hatten sie kaputtmachen müssen, vor allem die Stille, die er so liebte. Und eines Tages hatten sie etwas getan, was er ihnen niemals verzeihen konnte. Sie hatten sein Aquarium zerstört. Bei ihren wilden Spielen hatten sie es einfach vom Schrank gefegt. Er hatte die Jungen wie nie zuvor mit aller Kraft geschlagen, als er beim Nachhausekommen das Aquarium in Scherben und die toten Fische auf dem tropfnassen Teppich gefunden hatte. Dieser Ausbruch von unbeherrschtem Zorn war der Anlass dafür gewesen, dass Hilde zum ersten Mal davon gesprochen hatte, ihn zu verlassen und die Kinder mitzunehmen.
    In diesem Augenblick hatte sich etwas in ihm verschoben.
    Du wirst mir immer unheimlicher, Jonas, hatte Hilde gesagt und ihn mit einem Blick angeschaut, den er nicht hatte ertragen können.
    Ach, Hilde …
    Jonas seufzte und warf einen wehmütigen Blick zum Schlafzimmer hinüber.
    Schon als kleiner Junge hatte er ein Aquarium besessen. Wenn es ihm schlecht gegangen war, hatte er sich vor das spiegelnde Glas gesetzt und die Fische beobachtet. Sie hatten ihm mit ihren ruhigen Bewegungen Trost gegeben. Er liebte Fische, seit er denken konnte. Vor allem die exotischen Arten. Ihre verspielten Formen, ihre leuchtenden Farben. Wenn sie hinter ihren Glaswänden dahinschwebten, waren sie so angenehm weit entfernt von dem, was Menschen dachten und taten. Manchmal beneidete er sie um ihr ruhiges Unterwasserdasein.
    Im Laufe der Zeit hatte er eine Art Fischreligion entwickelt, wie Hilde es mit spitzer Zunge nannte. Nach dem Unglück mit dem Aquarium hatte er natürlich ein neues gekauft, ein größeres. Aber bei dem einen war es nicht geblieben. Es waren weitere hinzugekommen, er hatte nach und nach ein ganzes Zimmer nur mit Aquarien belegt. Bis nach Köln und Trier war er gefahren, um sich die schönsten und seltensten Fische zu kaufen. Das ging natürlich ins Geld. Die Ersparnisse waren schnell aufgezehrt.
    Hilde hatte das Treiben anfänglich noch mit Nachsicht betrachtet, dann war sie immer wütender geworden. Wenn du so weitermachst, wirst du noch selbst ein Fisch, hatte sie geschrien, als er anfing, das zweite Zimmer mit seinen Aquarien vollzustellen.
    Es kam die Zeit, wo im Haus einfach kein Platz mehr für die Fische und eine vierköpfige Familie war. Da hatte Hilde ihm eines Abends kurz und bündig erklärt, sie habe endgültig die Schnauze voll. Sie gehe jetzt, natürlich nehme sie die Kinder mit. Die Scheidung habe sie übrigens schon eingereicht. Merkwürdigerweise war er im ersten Augenblick fast erleichtert gewesen, bevor er sich dann entschlossen hatte, etwas zu unternehmen.
    Noch einmal seufzte Jonas tief auf. Was geschehen war, war geschehen. Er konnte sich nicht mit der Vergangenheit aufhalten, sondern musste nach vorn blicken, sich auf das konzentrieren, was jetzt zu tun war. Seine Fische, es waren

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