Kramp, Ralf (Hrsg)
tat unendlich gut. Das erste Blubbern stieg in seiner Kehle auf. Jonas fühlte tiefe Zufriedenheit. Minutenlang lag er nur so da und hörte dem Surren der elektrischen Pumpen und dem Rauschen der Luft zu, die in feinen Bläschen durch das Wasser der vielen Aquarien strömte. Wenn er die Augen schloss, klang es wie das Meer, wie eine ferne Brandung.
Natürlich machte er sich keine Illusionen. Schließlich war er Realist. Er wusste, dass sie Hilde und die Kinder irgendwann suchen würden. Dass die Polizei eines Tages vor der Tür stehen würde, um ihn zu holen. Aber das konnte dauern. Bis sie darauf kommen würden, das Haus zu durchsuchen, konnten Monate vergehen. Hier in Kronenburg gingen die Uhren langsamer als anderswo. Die Eifel schützte ihn und gab ihm eine Frist. Das war ein gutes Gefühl. Jonas war entschlossen, die Zeit zu nutzen und das Leben zu führen, das ihm gemäß war.
Als er kurz vor dem Einschlafen die von Feuchtigkeit schwere Decke noch einmal fest um seinen Körper wickelte, dachte er: Morgen versuche ich es. Morgen kann ich vielleicht schon in der Badewanne unter Wasser schlafen.
Eine gute Stunde
VON J ACQUES B ERNDORF
DAUN, Freitag, 8. Juli 2011, ungefähr 21.55 Uhr
.
Leo Kaminski (42), Dachdecker, betritt das Haus in der Abt-Richard-Straße Nr. 26. Wegen der Hitze des Tages steht die Haustür weit offen. Es ist immer noch ein lauer Sommerabend, das Wetter war den ganzen Tag über heiß bis schwül. Kaminski geht die Treppe hinauf in den zweiten Stock und klingelt an der Wohnungstür auf der rechten Seite. Dort gibt es kein Namensschild. Niemand öffnet, Kaminski wird ungeduldig und brüllt: »Macht auf, verdammt noch mal!« Wiederum keine Reaktion. Kaminski schlägt mit der Faust gegen die Tür und klingelt gleichzeitig. Keinerlei Reaktion.
Irgendwo unter ihm wird eine Tür geöffnet, und ein Mann fragt laut und empört: »Was soll der Krach hier?«
»Halt die Schnauze!« schreit Kaminski zurück. Dann schlägt er erneut gegen die Wohnungstür. Es dröhnt. Kaminski schreit: »Ich weiß, dass ihr da drin seid. Macht auf!«
Der Mann von unten schreit: »Was soll das hier? Wir wollen unsere Ruhe!«
»Halt den Mund«, brüllt Kaminski zurück. »Das geht dich nichts an!« Er schlägt mit der flachen Hand gegen die Tür, er brüllt: »Monika! Ich befehle dir, aufzumachen. Es ist mein Recht, euch zu besuchen!«
Keine Reaktion.
In diesem Moment öffnet sich vorsichtig die Tür zur gegenüberliegenden Wohnung einen Spalt weit. Eine Frauenstimme sagt sehr schüchtern: »Da wohnt doch gar keiner.«
»Kann ja wohl nicht sein!« brüllt Kaminski. »Da wohnt meine Familie!«
»Da wohnt keiner!« widerspricht die Frauenstimme. »Schon seit Monaten nicht!«
»Das ist nicht wahr!«, schreit Kaminski. »Das kann nicht sein.«
Dann springt er unvermittelt auf die leicht geöffnete Wohnungstür zu und drückt sie auf. Da steht im Halbdunkel, leichenblass, eine junge, blonde Frau und starrt ihn an. Sie trägt Jeans und ein einfaches, dunkelgrünes Top, die nackten Füße stecken in Sandalen. Sie ist 23 Jahre alt, heißt Cynthia Fries, und sie wohnt dort zusammen mit ihrem Freund Marc Aumann (25), seit drei Monaten. Sie wollen demnächst heiraten. Dies ist ihre erste gemeinsame Wohnung.
Sie stammelt: »Da wohnt doch wirklich keiner!«
»Lüg nicht!« schreit Kaminski. Dann greift er schnell und strikt nach ihrem rechten Arm und zerrt sie mit einem starken Ruck in das Treppenhaus. Dann zieht er die Wohnungstür hinter ihnen zu. Die junge Frau haucht fassungslos: »Bitte!«
»Du hältst jetzt die Schnauze!«, befiehlt Kaminski scharf. »Die Treppe runter, aber schnell. Ich bin bewaffnet, und du sagst nichts!«
Cynthia Fries geht langsam voraus die Treppe hinunter, und sie hat massive Angst davor, ohnmächtig zu werden.
Der Mitbewohner, der sich beschwert hat, ist im Treppenhaus nicht zu sehen.
Sie erreichen die Haustür und stehen auf der Straße. Die Dunkelheit der Nacht ist noch nicht eingefallen, der Abend ist hell, und am Himmel ist keine Wolke zu sehen. Kaminski befiehlt: »Wir gehen nach links, und du drehst dich nicht um!«
»Aber Marc kommt doch gleich«, sagt die junge Frau kaum hörbar.
Kaminski reagiert darauf nicht. Er sagt scharf: »Ich bin bewaffnet, ich habe eine Schusswaffe, und ich habe ein Messer. Und ich werde dich töten, wenn das nötig ist. Du bist immer einen Schritt vor mir, du guckst keinen an, und du sagst kein Wort!«
Dass sie niemanden ansehen soll, macht Sinn, denn
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