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Kramp, Ralf (Hrsg)

Kramp, Ralf (Hrsg)

Titel: Kramp, Ralf (Hrsg) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatort Eifel 3
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Die Sonne schien. Es mochte ein warmer Mai werden. Vermutlich glitzerte das Licht nun in den dunklen Augen der Eifel, auch wenn diese am Tage von Touristen umlagert waren. Irgendwo draußen sang ein Vogel sein Lied.
    Im Radio spielten Miles Davis und John Coltrane
So What
.

Meerfeld sehen und sterben
VON M ARTINA K EMPFF
    Entschuldigung«, sagt die Prümer Anwältin zu der Gestalt, die in ihrem Wartezimmer neben dem Schirmständer sitzt und irgendwie wirkt, als sei sie mit diesem verschmolzen. »Hoffentlich haben Sie nicht zu lange gewartet. Ich habe Sie gar nicht bemerkt.«
    Die kleine, graue Frau undefinierbaren Alters steht auf. Ihr Schemen scheint vor der diskret gemusterten Tapete fast zu verschwinden.
    »Genau darum geht es«, murmelt sie und drückt der Anwältin einen braunen Umschlag in die Hand.
    »Könnten Sie bitte etwas deutlicher werden? Wer sind Sie, und was ist das?«, fragt die Anwältin, mühsam einen Seufzer unterdrückend. Wieder keine normale Mandantin. Als stünde auf ihrem Kanzleischild
Anlaufstelle für Einfältige und Gestörte
.
    »Falls mir etwas zustoßen sollte«, sagt die Frau, duckt sich an der Anwältin vorbei und huscht ohne ein weiteres Wort aus dem Büro.
    Lustlos öffnet die Anwältin den Umschlag, zieht zehn handschriftlich eng beschriebene Seiten heraus und überfliegt die ersten. Sie schüttelt den Kopf. Was soll sie mit den Urlaubsbeobachtungen eines einsamen Menschen? Als sie die Niederschrift im Papierkorb versenken will, sticht ihr mitten im Text ein Satz in die Augen. Sie holt tief Luft, setzt sich an ihren Schreibtisch und beginnt von vorn zu lesen. Sie ist so vertieft in ihre Lektüre, dass sie nicht einmal den Zweiklang des Martinshorns wahrnimmt, der durch das geschlossene Fenster der Kanzlei dringt und auf der Höhe des Hahnplatzes plötzlich abbricht.
    Es fing an einem milden Juniabend in Meerfeld an. Ich hatte es mir auf der vorderen Terrasse des
Hotels Maarblick
mit einer Tasse Kaffee gerade gemütlich gemacht. Da kam plötzlich Wind auf, und zwar in Form eines streitenden Ehepaars. Vor dem Schild, das Meerfeld als Kreissieger des schöner werdenden Dorfwettbewerbs auswies, war es einem riesigen, viereckigen Angeberauto entstiegen. Das heißt, die blonde Frau war in ihrem engen Rock vom Beifahrersitz heruntergerutscht, bis sie irgendwie in ihren hohen Schuhen zum Stehen kam. Der Mann hüpfte trotz deutlich überschrittenen Mittelalters so sportlich hinaus wie Präsident Obama die Treppe der Airforce One hinauf. Ungeduldig wartete er, bis seine Frau ihr Gleichgewicht gefunden hatte. Schon da fielen heftige Worte, die ich aber aufgrund der Entfernung nicht verstehen konnte. Wahrscheinlich hielt er ihr vor, dass sie sich für den Wanderurlaub viel zu sehr aufgedonnert hatte. Sie fauchte ihn auf der Straße vor unserem Hotel an, sie sei nicht zum Wandern hier, sondern wegen der Wellness. Und die mache sie schließlich nur für ihn, damit sie schön bleibe und er sie nicht für eine noch viel Jüngere sitzen lasse. Und sie könne nichts dafür, wenn das Pflaster im Meerfelder Krater ihren High Heels nicht gewachsen sei
.
    Er blieb bei der blauen Hortensie vor dem Restaurant stehen und nahm sie in den Arm. Nach allem, was später geschehen sollte, vermute ich, dass er schon da über ihre Schulter hinweg der kettenrauchenden dunkelhaarigen Frau an meinem Nebentisch einen verschwörerischen Blick zusandte. Aber seiner Gattin flüsterte er offenbar etwas Nettes ins Ohr, denn sie lächelte ihm hinterher, als er durch die Tür unseres
Bio-zertifizierten Naturpur-Hotels
schritt
.
    Mich hatte er gar nicht beachtet, aber das bin ich gewöhnt. Ich gehöre zu den Leuten, die nie wahrgenommen werden, sondern über die hinweggesehen wird. Woran das liegt, weiß ich nicht. Jedenfalls muss für mich keine Tarnkappe erfunden werden, ich bin von Natur aus gewissermaßen unsichtbar. Deswegen hat mich auch nie ein Mann gefunden, deswegen bin ich als Sekretärin wegrationalisiert worden, deswegen muss ich mich überall, wo Menschen bedient werden, wo man einen Anspruch darauf hat, beachtet zu werden, deutlich bemerkbar machen. Sonst bin ich nicht vorhanden
.
    Das ist überall so, außer im
Hotel Maarblick.
Als mich der Besitzer Frank Weiler am ersten Abend fragte, ob es mir denn auch schmecke, verschluckte ich mich vor dem Schreck des Sichtbargewordenseins dermaßen an seiner köstlichen Sauerkraut-Senfsuppe, dass ich fast erstickt wäre. Dabei hatte er ganz sanft, fast schüchtern

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