Kramp, Ralf (Hrsg)
geklungen. Ich verlängerte meinen Aufenthalt sofort um eine Woche
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Hätte ich das nicht getan, wäre mir der Mord entgangen. Der aber hat mir die Chance gegeben, nicht mehr jeden Cent umdrehen zu müssen und mir hin und wieder einen Ausflug ins
Maarblick
nach Meerfeld zu gönnen. Und Anwendungen, die nicht der Schönheit dienen – was sollte einer Unsichtbaren eine Apfel-Stammzellen-Behandlung für einen feineren Teint schon bringen? – sondern schlicht dem eigenen Wohlbefinden. Einiges habe ich schon ausprobiert. Im Schokoladenbad will ich mich nicht wälzen, aber die indisch-tibetische Kräuterstempelmassage empfinde ich als durchaus entspannend, wie auch die ayurvedischen Öle für meinen immer noch schreibtischkrummen Rücken. Die Hot-Stone-Massage hebe ich mir für später auf, und irgendwann befreien mich vielleicht auch die entgiftungsfördernden Eigenschaften einer Honigmassage von den Schlacken der Erinnerung. Doch dazu komme ich später
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Als Arbeitslose konnte ich mir ein solches Hotel eigentlich nicht leisten, aber ich hatte den Aufenthalt gewissermaßen aus Verzweiflung gebucht. Irgendwas muss der Mensch ja tun, wenn er zum Arbeiten nicht mehr gebraucht wird. Ich kann mich doch nicht jeden Tag in meiner Heimatstadt Prüm durch die Basilika führen lassen. Von Monika Rolef, die alle anderen jedes Mal freundlich fragt, woher sie denn kämen. Aus Nederland, ertönt es oft. Habe noch irgendjemand eine Frage zur Basilika oder zu dem dort bestatteten Karolingerkaiser Lothar? Ja, antworten die Holländer prompt jeden Samstagmittag, wann öffnen die Geschäfte wieder? Was, erst am Montag? Frustriert steigen die Holländer in ihre Autos, schleichen zum Shoppen nach Luxemburg, und für mich gibt es nichts mehr zu beobachten
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Das war in Meerfeld ganz anders, vor allem als die Leute mit dem Angeberauto auftauchten
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Auf der Terrasse hörte ich, wie der Mann drinnen laut nach dem Chef des Hauses rief. Ja, natürlich habe er ein Zimmer gebucht, tönte er ungeduldig, und dann hallte der nächste Satz nach draußen: »Ich bin Lars Kardes.«
Diesen Namen kannte sogar ich. Aus den vielen Frauenzeitschriften, die ich in Arztpraxen durchlese, bis endlich eine Helferin mitbekommt, dass ich zu meinem Termin erschienen bin. Den Lars Kardes wahrscheinlich gar nicht erst ausmachen muss, um sofort vorgelassen zu werden. Nur als Verleger von Kochbüchern wäre er wohl kaum berühmt geworden, aber einmal im Jahr kommt er ganz groß im Fernsehen raus: In einer aufwendig produzierten Castingshow kürt er Deutschlands nächste Superköchin. Deren Rezeptbuch steht dann ein paar Wochen auf der Bestsellerliste. Und wenn er die Autorin danach ehelicht, was, glaube ich, zwei-oder dreimal geschehen ist, füllen Hochzeit, Krise und Scheidung die Presselücke bis zur nächsten Castingshow
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Seine derzeitige Angetraute, oder soll ich sagen: damalige, da der Tod ja aufwandslos scheidet, war nicht mit ihm in den Gastraum gegangen. Als hätten die Trippelschritte vom Parkplatz zum Hotel ihre Kräfte überstiegen, ließ sie sich am Nebentisch der kettenrauchenden Dunkelhaarigen auf einen Stuhl fallen. Entnervt wedelte sie den Rauch, der gar nicht zu ihr ziehen konnte, mit den Händen fort
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»Machen Sie Ihre Zigarette aus!«, forderte sie. »Dies ist ein Nichtraucherhotel!«
Die Dunkelhaarige wies mit der Zigarette Richtung Eingang. Dann inhalierte sie und schickte eine gewaltige Qualmwolke in Richtung der einstigen Superköchin
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»Gehen Sie rein«, sagte sie. »Hier draußen zollen wir dem Meerfelder Krater Tribut. Wer dafür kein Gespür hat, gehört nicht hierher.«
Diese Unverschämtheit lasse sie sich nicht gefallen, sagte Frau Kardes, sie werde sich beschweren. Bei den Hotelbesitzern konnte sie das aber noch nicht tun, wie ich dem Wortwechsel im Inneren des Restaurants entnahm. Eine Angestellte erklärte höflich, Herr Kardes habe sicher Verständnis dafür, dass Herr Weiler ihn noch nicht begrüßen könne, da er am Herd stehe
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»Und Frau Weiler?«, wollte Lars Kardes wissen. Er erfuhr, dass die leider auch unabkömmlich sei. Sie pinsele gerade den Guss auf ihren berühmten Pralinenguglhupf. Ich ahnte, dass Lars Kardes die begnadete Konditorenmeisterin in diesem Augenblick von der Liste der Superköchin-Aspirantinnen strich. Was jetzt auch egal ist, und nicht nur, weil sie ja schon einen netten Mann hat
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Lars Kardes trat vor die Tür. Seine Frau saß mit dem Rücken zu ihm, weshalb er der Dunkelhaarigen ganz unverfroren
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