Krampus: Roman (German Edition)
Gesicht deiner Mutter und das deines Vaters? Deinen eigenen Namen gar? Nun denn, ich bin hier, um deine Erinnerung aufzufrischen.«
Nikolaus presste die Lippen aufeinander.
»Blut klebt an deinen Händen«, fuhr Krampus fort. »Wie viel? Wie viele hast du ermordet, um Lokis Sack deinem Willen zu unterwerfen?«
»Ich bin deines Geschwätzes müde«, sagte Nikolaus. Er sprang nach vorn, holte mit dem großen Schwert aus und ließ es in hohem Bogen niedersausen, um Krampus den Kopf von den Schultern zu hacken. Der wich zur Seite aus, woraufhin der Schlag, der seinem Hals gegolten hatte, in die weiche Erde fuhr.
Die Beweglichkeit seines Gegners schien Nikolaus zu verblüffen. Er riss die Klinge aus dem Boden, packte sie fester und schickte sich an, erneut zuzuschlagen.
Krampus wich nicht zurück, stattdessen richtete er den Speer auf Nikolaus. »Es ist an der Zeit, dich daran zu erinnern, wer du früher einmal warst.«
Nikolaus schüttelte den Kopf. Er wirkte beinahe gelangweilt. »Warum musst du uns all das zumuten? Du weißt doch sicher, dass deine Bemühungen vergeblich sind? Du solltest dir einen Rest von Würde bewahren.«
»Du musst noch viel lernen«, fauchte Krampus, »und für vieles büßen. Ich bin hier, um dich zur Verantwortung zu ziehen. Für Hugin und Munin, für Geri und Freki und für all jene, die du benutzt und danach verstoßen hast, für alle, die du verraten hast und die für deinen Ehrgeiz bluten mussten. Aber in erster Linie wirst du für das büßen, was du mir angetan hast.«
Nikolaus holte aus und stürmte auf Krampus los. Der tauchte unter dem Schwert weg und richtete sich wieder auf, während Nikolaus an ihm vorbeistürzte, dann stach er einmal schnell zu und tänzelte zurück.
Der Verletzte fuhr herum, bereit zu einem weiteren Sturmangriff, doch dann zögerte er, offenbar verunsichert, und ein Ausdruck völliger Verblüffung trat auf sein Gesicht. Er senkte das Schwert und starrte auf seinen Arm. Eine dünne rote Linie verlief direkt unterhalb der Schulter und wurde langsam dicker. Ein scharlachroter Tropfen bildete sich und lief an seinem Arm herab. Nikolaus berührte den Schnitt und betrachtete das Blut an seinem Finger. »Was ist das für ein Trick?«
»Dein Gesicht«, sagte Krampus. »Allein das ist die unzähligen Tage wert, die ich unter der Erde verbracht habe.«
Nikolaus kostete das Blut. »Unmöglich.«
»Ein Haus, das auf Lügen errichtet ist, hat ein schwaches Fundament, mein guter alter Freund.«
Der andere starrte ihn bloß an. Er verstand noch immer nicht.
»Begreifst du es nicht? Hast du dich so lange selbst belogen, dass du die Wahrheit vergessen hast? Denk nach. Erinnere dich.«
Krampus sah, wie die Verwirrung seines Gegenübers sich in Erschrecken wandelte. »Ja, ja«, frohlockte er. »Sankt Nikolaus mag unantastbar sein, aber … Baldr … ist es nicht.« Krampus hielt den Speer empor, sodass der Laternenschein sich in dem uralten Metall fing und über das Gesicht des Verwundeten flackerte. »Du kannst die Welt zum Narren halten, du kannst sogar dich selbst zum Narren halten, aber nicht das hier.«
Mit zusammengezogenen Brauen starrte Nikolaus auf die Waffe. »Wie ist das möglich? Es wurde zerstört. Odin hat seine Zerstörung angeordnet.«
»Anscheinend hat er das nicht. Ich habe es auf dem Meeresgrund gefunden, zwischen deinen Gebeinen. Zwischen Baldrs Gebeinen.«
Nikolaus riss die Augen weit auf, und statt der Verwirrung spiegelte sich nun ein verletzter Ausdruck darin, und dann, zum ersten Mal, entdeckte Krampus Angst auf dem Gesicht seines Widersachers. Nikolaus wich einen Schritt zurück und warf einen Blick zu den großen Torflügeln.
Krampus lachte laut und aus voller Kehle. »Wer? Wer von uns beiden sitzt jetzt in der Falle?«
Der Herr der Julzeit erhob sich zu voller Größe, atmete tief ein und spürte, wie sein Herz von süßem Zorn pochte. Er bleckte die langen, scharfen Zähne. Seine Zunge zuckte aus seinem Mund, und er ließ den Schwanz hin und her peitschen. Sein Lachen verwandelte sich in ein Knurren, als er den weißbärtigen Mann ansprang.
Wie ein Mann im tiefen Wasser, der mit einem Mal vergessen hat, wie man schwimmt, schien Nikolaus unter Schock zu stehen.
Er hob sein Schwert, doch zu spät: Krampus wehrte seinen Angriff zur Seite ab und traf ihn am Unterarm. Diesmal war die Wunde nicht bloß ein Kratzer, sondern ein tiefer Schnitt, der bis auf den Knochen ging.
Nikolaus stieß ein Heulen aus, einen Laut der Empörung, des
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