Krampus: Roman (German Edition)
Lindas Schlüssel hatte, und ging hinaus.
***
»Warum bist du hier?«, fragte Sankt Nikolaus mit tiefer Stimme.
»Die Antwort darauf kennst du nur zu genau, mein guter alter Freund«, erwiderte Krampus und ließ dabei seinen Schwanz hin und her zucken wie eine Katze auf der Jagd.
»Du hättest in der Wildnis verschwinden können. Dein Leben im Wald zu Ende leben.« Nikolaus sprach leise, trotzdem hallten seine Worte durch den Raum. »Stattdessen musst du den Plagegeist spielen … und mich zum Handeln zwingen. Nun muss ich dich töten, obwohl ich gar kein Verlangen danach habe.«
»Mich töten? Das klingt ein wenig vorschnell. Findest du nicht?«
Nikolaus schüttelte den Kopf. »Warum kennen die vom Blute Lokis nur Bitterkeit? Ich habe dir gezeigt, was Milde ist, ich wollte dir die Wahrheit offenbaren und dich vor dir selbst retten. Ich habe dir jede nur erdenkliche Chance gegeben.«
»Unter der Erde angekettet zu sein, ist mir nicht sonderlich mildtätig vorgekommen.«
»Ich war schwach, weil ich Mitleid mit dir hatte. Jetzt erkenne ich, dass ich dich hätte töten und deinem Leid ein Ende machen sollen. Du musst wissen, dass ich eine Ewigkeit im Gefängnis deiner Mutter verbracht habe. Die Zeit in Hel gab mir Gelegenheit, mich selbst besser kennenzulernen und über die Folgen meiner Entscheidungen nachzudenken. Ich habe gehofft, die Einsamkeit würde dir die gleiche Gelegenheit geben. Die Gelegenheit, ein einziges Mal über den Horizont deiner eigenen Wünsche hinauszublicken.«
»Die Scheiße spritzt dir aus dem Mund wie aus dem Arsch eines Schweins. Du hast in Hel nicht zu dir gefunden, du hast dich dort verloren. Ich habe vielmehr versucht, dich zu retten, und dich in mein eigenes Zuhause mitgenommen. Ich habe versucht, deinem Leben einen Sinn zu geben und die großen Wunden deines Herzens zu heilen. In Wahrheit hast du mich doch nur aus einem Grund in diesem Loch angekettet, nämlich in der Hoffnung, dass ich dem Vergessen anheimfallen und dahinschwinden und dass der Geist des Julfests mit mir schwinden würde.«
Nikolaus zuckte mit den Schultern. »Das Julfest gibt es nicht mehr. Es gehört der Vergangenheit an. Die Menschen brauchen einen Weg zur Erleuchtung, einen Weg, der sie von den alltäglichen Sorgen des irdischen Lebens befreit, damit sie über die Fesseln von Fleisch und Blut hinausschauen können. Das Leben ist flüchtig, was danach kommt, währt hingegen ewig. Ich wüsste keine größere Berufung, als den Menschen ein Licht auf diesem Weg zu sein. Und ich habe dir die Möglichkeit geboten, mir dabei zu helfen.«
»Du verehrst den Tod. Du und all die Eingötter. Sie verführen die Menschheit mit ihren Versprechen von einem glanzvollen Leben nach dem Tod und machen sie damit blind für die Pracht, die sich ihnen hier auf Erden darbietet. Niemand kann Erleuchtung erlangen, wenn er nicht zuvor sein Leben voll ausgekostet hat.«
»Deine Worte beweisen nur, dass auf Gottes Erde kein Platz mehr für dich ist.«
»Die Erde gehört keinem Gott! Mutter Erde ist Gott. Hast du denn alles vergessen? Willst du vorgeben, nicht zu sehen, dass sie unter deinen Füßen wegstirbt? Sie muss wiedergeboren werden, sie braucht den Geist des Julfests, um geheilt zu werden. Du sprichst davon, die Menschen zu erleuchten, aber ohne die Erde wird es keine Menschen mehr geben!«
»Närrisches Tier, die Erde ist nicht mehr als ein Felsbrocken im All.« Nikolaus schüttelte den Kopf. »Die Welt hat sich weitergedreht und dich dabei zurückgelassen. Du bist nichts weiter als ein mitleiderregendes Überbleibsel längst vergangener Tage. Was ich nun tun muss, ist ein Gnadenakt, also lass es uns nicht länger hinauszögern. Ich habe dich in der Gewalt, du kannst mir nicht entkommen. Knie vor mir nieder, dann will ich dir einen schnellen Tod schenken.«
»Wirklich ein sehr großmütiges und verlockendes Angebot«, erwiderte Krampus amüsiert. »Aber ich glaube, du solltest besser niederknien.«
»Das ist Wahnsinn, du weißt, dass du mir nichts anhaben kannst.«
Krampus lachte laut los. Nikolaus runzelte die Stirn. Als Krampus merkte, dass seine Vergnügtheit seinen Gegner verärgerte, lachte er umso lauter.
»Es sieht ganz danach aus, als hätten die fünfhundert Jahre in jenem Loch dir den Verstand vernebelt.«
Krampus grinste höhnisch. »Fünfhundert Jahre in jenem Loch haben mir die Dinge klar vor Augen treten lassen. So klar wie Wasser aus den Quellen Asgards. Oder hast du Asgard etwa vergessen? Ebenso das
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