Krampus: Roman (German Edition)
haben auf ihn geschossen. Alle beide. Wir haben ihn mitten in die Brust getroffen … in den Kopf. Aber wir können nichts ausrichten! Rein gar nichts! Er ist nicht mal langsamer geworden!«
»Geh und stell dich zu den anderen«, sagte Krampus und ließ ihn los. Jesse fiel auf, wie gelassen seine Stimme klang.
Chet rannte zu den Boxen und schlüpfte neben Jesse hinter den großen Pfeiler. »Wir sind am Arsch, Mann«, sagte er schwer atmend. »Dieses Ding lässt sich nicht aufhalten. Es ist ein Ungeheuer. Ein Ungeheuer aus Fleisch und Blut!«
Jesse spürte, wie er selbst schneller atmete, und stellte fest, dass er dringend noch einen Schluck Met gebraucht hätte. Über ihnen hörte er das Trappeln kleiner Füße und erhaschte einen Blick auf ein paar kindhafte Gestalten, die durchs Gebälk flitzten.
»Verdammt«, sagte er und stieg auf sein Gewehr um. »Die fallen uns in den Rücken.«
Doch von oben wurde nicht auf sie geschossen. Nur hier und da spähte jemand zu ihnen herab.
»Das gefällt mir alles nicht«, sagte Jesse, während er die Gestalten verstohlen im Auge behielt. »Kein bisschen.«
Da flog etwas durch die Tür, schlug auf den Boden auf, kullerte durch Stroh und Dreck und blieb direkt vor Krampus liegen. Es war der Kopf des Generals – die Kehle war sauber durchtrennt, und die Augen fehlten. Jesse bekam einen trockenen Mund, und das Herz hämmerte ihm in der Brust. Er vergaß die Gestalten über ihren Köpfen und konnte nur noch auf die blutigen Höhlen starren, in denen sich einmal die Augen des Generals befunden hatten.
»Scheiße noch mal«, wimmerte Chet.
»Krampus«, polterte eine Stimme von draußen. »Deine Zeit ist abgelaufen.«
Der Herr der Julzeit lächelte und drehte sich zu seinen Begleitern um. »Bleibt, wo ihr seid. Behaltet das Gebälk im Auge, und verschwendet keine Kugeln auf unseren guten alten Freund, den Nikolaus.«
Jesse erhaschte einen Blick auf eine dunkle Gestalt, die sich dem Stalltor näherte. Sie war viel zu breit, um durch den Spalt zu schlüpfen, stattdessen stieß sie die schweren Torflügel mühelos auf. Das war er, daran bestand kein Zweifel, das war der Weihnachtsmann: Baldr. Im flackernden Laternenschein stand er dort, mit einem Ausdruck absoluter Selbstgewissheit im Gesicht. Dieser Mann war nicht hier, um um sein Leben zu kämpfen, sondern um Ungeziefer zu zertreten. Er unterschied sich völlig vom Bild des dicken, drolligen Weihnachtsmanns aus der klassischen Coca-Cola-Werbung. Jesse hatte sogar Schwierigkeiten, sich vorzustellen, dass es sich um denselben Mann handelte wie jenen, den er vor so langer Zeit in der Wohnwagensiedlung durch den Schnee hatte rennen sehen.
Dieser hier sah eher aus wie ein Wikingerfürst. Er hatte Goldreifen an den Ohren, sein weißes Haar war zu einem Knoten gebunden, und sein langer Bart hing ihm zu Zöpfen geflochten über den entblößten, mächtigen Brustkorb. Er trug rote Lederhosen, Strümpfe und spitz zulaufende Schuhe mit großen Bronzeschnallen, dazu dicke lederne Armbänder und einen breiten Harnisch, der aus Bronzeringen auf weißem Fell bestand. Er war deutlich kleiner als Krampus, aber stämmig, massiv, und die Muskeln an seinem Hals und seinen Hand- und Fußgelenken waren so massig wie bei einem Ochsen. Seine Hände und Unterarme sahen aus, als könnte er damit spielend Telefonbücher zerreißen. Er hielt ein Breitschwert in der Hand, von dessen langer Klinge Blut troff. Jesse bemerkte die Schmauchspuren von den Schüssen. Sie verliefen über Brust und Gesicht der Gestalt, doch Wunden waren nirgends zu sehen.
Der Weihnachtsmann zog die schweren Torflügel hinter sich zu, legte den Riegel vor und schloss sie so mit ein. Er schüttelte den Kopf und machte ein Gesicht, als hätte er eine höchst unangenehme Aufgabe zu erledigen. »Krampus, du fängst wirklich an, mich zu ermüden.«
***
Dillard legte den Riegel um und öffnete die Kellertür. Mit dem Rücken zu ihm saß Linda auf halbem Weg nach unten. Abigail schlief in ihren Armen. Ihre Lippe war geschwollen, und auf ihrer Wange hatte sich ein hässlicher Bluterguss gebildet. Er versuchte, nicht hinzuschauen und so zu tun, als wäre dort überhaupt nichts.
Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Was hältst du davon, wenn wir es noch einmal probieren? Komm, sag schon.«
Sie antwortete nicht. Stattdessen erhob sie sich langsam, mit Abigail in den Armen. Die Kleine erwachte, sah Dillard und drückte das Gesicht an die Brust ihrer Mutter. Linda ging die Treppe
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