Krampus: Roman (German Edition)
ging um den Wagen herum und öffnete die Heckklappe. Nachdem er seine Gitarre und die restlichen Beutel mit den Spielkonsolen beiseitegeschoben hatte, kroch er in den Wagen. Hinter der Fahrerkabine lagen ein Schlafsack, eine Segeltuchtasche mit Arbeitskleidung und das eine oder andere, was nach dem Tod seines Vaters im Auto zurückgeblieben war. Alles, was zu alt und zu mitgenommen war, um es zu verkaufen oder zu verpfänden, hatte er hier gelagert. Jesse zog einen Werkzeugkasten und eine Angel hervor und klemmte sich dann das Jagdgewehr seines alten Herrn unter den Arm. Er hatte es in Öltücher gewickelt, damit es nicht rostete, und nun war er auf den Gedanken gekommen, mit den öligen Lumpen das Loch notdürftig zu stopfen. Er wickelte das Gewehr aus, ließ die Lumpen in den Schoß fallen und hielt einen Moment lang das Gewehr in der Hand, eine 22er Unterhebelrepetierflinte. Vorsichtig ließ er die Hand über den abgegriffenen Kolben gleiten. Das Gewehr fühlte sich an wie ein alter Freund und ließ ihn an jene Zeiten zurückdenken, in denen er als Junge im Wald Eichhörnchen und Hasen gejagt hatte – damals war seine einzige Sorge gewesen, dass der Förster ihn schnappen könnte.
Ein Sattelschlepper brauste vorbei, und Jesse warf einen Blick nach draußen. Ihm fiel auf, dass es langsam Abend wurde, und seine Brust zog sich zusammen. Demnächst erwarteten sie ihn an der Schule, und wenn er nicht kam, dann waren bald nicht nur die Teufelsmänner hinter ihm her. »Was machst du dann, Jesse?« Er tätschelte das Gewehr. Fahr einfach zurück und knall sie alle ab. Bring es hinter dich. Er grinste, doch es lag keine Belustigung in seiner Miene, weil er wusste, was er in Wirklichkeit zu tun hatte und dass es nicht einfach werden würde. Du musst Abigail holen und von hier verschwinden, so einfach ist das. Fahr nach Mexiko oder vielleicht sogar nach Peru, irgendwohin, wo der General und seine Männer dich niemals finden. Er hatte keine Ahnung, wie er das anstellen sollte, zumal er nur vier Dollar in der Tasche hatte. Er schüttelte den Kopf und stellte das Gewehr beiseite. Langsam dämmerte es ihm, dass der General vielleicht die Lösung war. Wenn Jesse eine Schmuggeltour machte, bekam er am Zielort auch seinen Anteil ausgehändigt, der sich normalerweise auf zwei- bis dreitausend Dollar belief. Nimm einfach die Kohle und hau ab. Er nickte. Dir sollte ausreichend Zeit bleiben, um dich um alles zu kümmern, bevor der General etwas merkt. Du musst nur sichergehen, dass Dillard nicht zu Hause ist. Er biss sich auf den Daumen. Das sollte kein allzu großes Problem sein. Du steckst einfach eine Mülltonne an oder, besser noch, wirfst ein Schaufenster ein. Jesse verspürte einen Anflug von Hoffnung. Eine Chance, so klein sie auch sein mochte, war besser als gar nichts. Schnapp dir Abigail, während Dillard irgendwelchen Gespenstern nachjagt.
»Und Linda?« Er legte die Stirn in Falten. Linda wird ein Problem sein. Ein großes Problem. Er schüttelte den Kopf. Wenn ich ihr alles erzähle, sieht sie es vielleicht ein. Sie muss es einsehen. Da kam ihm ein weiterer Gedanke. Vielleicht kann ich dieses Foto von Ellen auftreiben. Er nickte, und sein Herzschlag beschleunigte sich. Wenn sie das Bild sieht, kommt sie vielleicht sogar mit.
Außer …?
»Außer was?«
Was hast du vor, wenn du erst einmal in Mexiko bist? Er betrachtete die beiden Beutel mit den Spielkonsolen. Es kann nicht allzu schwer sein, die Dinger da unten zu verkaufen. Er dachte an den Sack, der am Straßenrand lag, wo ihn jeder mitnehmen konnte.
»Verdammt, ich muss das Ding zurückholen.«
Jesse krabbelte zur Heckklappe hinaus, knallte sie zu, rannte um den Wagen herum und stieg ein. Er stopfte die öligen Lumpen in das Loch in der Windschutzscheibe, ließ den Motor an und fuhr zurück auf die Hauptstraße.
Eine Minute später zog er den Weihnachtssack aus dem Matsch. Zu seiner Überraschung blieb kein bisschen nasser Schnee daran kleben. Ein Kreischen ließ ihn aufblicken: Zwei große Vögel zogen über ihm ihre Kreise. Jesse brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass es sich um die gleichen Vögel handelte, die er über seinem Anhänger gesehen hatte, vielleicht sogar um dieselben. Als er den Sack auf den Beifahrersitz warf, begannen die Vögel zu krächzen. Die hereinbrechende Dämmerung hüllte den Wald in dunkle Schatten. Jesse dachte an die Teufelsmänner, an ihre Augen. Hastig stieg er ein und fuhr zurück in die Stadt.
***
Jesse fuhr an dem
Weitere Kostenlose Bücher