Krampus: Roman (German Edition)
ihm.
»Danke«, sagte er und schickte sich an zu gehen.
»Frohe Weihnachten«, sagte sie.
Das entlockte ihm ein Lächeln. »Ebenfalls frohe Weihnachten.«
Der Mann neben ihr musterte ihn von oben bis unten und bedachte seinen Aufzug mit einem Stirnrunzeln. Dann schüttelte er den Kopf. »Heute ist der Geburtstag von Jesus. Ich will nur drauf hinweisen, mein Freund, weil manche Leute um diese Jahreszeit ein wenig durcheinanderkommen.« Er legte Nikolaus behutsam die Hand auf den Arm und lächelte. »Sie glauben wohl, es wäre der Nikolaustag.«
Sankt Nikolaus erwiderte seinen Blick fest.
»Pastor«, sagte die Dame. »Fangen Sie gar nicht erst damit an.« Sie warf Nikolaus einen entschuldigenden Blick zu. »Beachten Sie ihn nicht weiter. Er denkt in Bezug auf Weihnachten nicht besonders praktisch.«
»Das tue ich sehr wohl. Der Weihnachtsmann mit seinen kleinen Geschenken verstellt allzu oft den Blick für Gottes Botschaft.«
»Genau wie die Religion«, erwiderte Nikolaus.
Der Pastor kniff die Augen zusammen. »Glauben Sie bloß nicht, es ließe sich abstreiten, dass die Welt sehr viel mehr von Jesus und sehr viel weniger vom Weihnachtsmann braucht.«
»Gott hat viele Diener.«
Der Pastor wandte sich an die Frau. »Sehen Sie, genau das meinte ich. Die Menschen bringen alles durcheinander, insbesondere die Kinder. Der Weihnachtsmann ist eine Märchenfigur. Wenn die Leute ihren Kindern etwas anderes erzählen, belügen sie sie schlicht und einfach.«
»Wie können Sie sich so sicher sein, dass es den Weihnachtsmann nicht wirklich gibt?«, fragte Nikolaus.
»Gesehen hat ihn ja wohl noch keiner von uns, oder?«
»Haben Sie denn jemals Jesus gesehen?«
Der Pastor zögerte. »Jesus ist in meinem Herzen.«
»Ist in Ihrem Herzen nicht Platz für alle beide? Sie verbreiten ein jeder die Botschaft des Friedens, der Wohltätigkeit und des Wohlwollens.«
»Jesus allein kann unsere Seele vor der ewigen Verdammnis retten.« Ein selbstgefälliges Lächeln machte sich auf dem Gesicht des Pastors breit. »Vermag der Weihnachtsmann das? Wohl kaum.«
Nikolaus stieß einen Seufzer aus. »Wir alle dienen Gott auf unsere eigene Art.« Mehr zu sich selbst fügte er hinzu: »Zuweilen, ob wir wollen oder nicht.«
Der Pastor sah ihn verwirrt an und redete dann weiter von Erlösung daher, doch Nikolaus hörte kein Wort. Stattdessen lauschte er dem fernen Krächzen. Mit Blicken suchte er den Himmel ab und entdeckte die Raben ein Stück weiter vorne. Sie haben ihn gefunden! Sie haben den Sack gefunden!
Eilig setzte Nikolaus seinen Weg fort und ließ den Pastor und die Frau, die besorgte Blicke wechselten, hinter sich zurück.
***
Isabel schob sich die Kapuze aus dem Gesicht, nahm die Sonnenbrille ab und blickte suchend in den Himmel. Keine Spur von den Raben. Alle fünf Belznickel standen auf dem Vorsprung und ließen den Blick durchs Tal und über die kleine Stadt Goodhope schweifen, die sich unter ihnen ausbreitete. Unter der dichten, tief hängenden Wolkendecke wurde es schnell dunkel. Sie alle hofften, dass der Mann in dem Lieferwagen nicht allzu weit gekommen war. Sie waren sich nur zu bewusst, dass sie kaum eine Chance haben würden, ihn vor Nikolaus und seinen Ungeheuern aufzuspüren, falls er sich nicht mehr hier in der Gegend aufhielt.
Makwa deutete nach Norden, woraufhin alle in die Richtung schauten.
»Seht ihr sie?«, fragte Vernon.
Ungeduldig deutete Makwa mit dem Finger. Er beherrschte die englische Sprache, genau wie die beiden anderen Shawnee auch, aber keiner von ihnen wollte sie benutzen. Makwa bezeichnete sie immer nur als hässliche Sprache. Isabel hatte den Versuch, Shawnee zu lernen, aufgegeben. Wenn sie es nach all den Jahren immer noch nicht geschafft hatte, würde sie es wohl nie hinbekommen. Angesichts der Sturheit der Indianer und ihres Mangels an Sprachkenntnissen mussten sie sich also ziemlich oft mit Lauten und Gesten verständigen.
»Also ich kann nichts erkennen«, knurrte Vernon.
Isabel ging es ähnlich, aber das hieß nicht, dass die Riesenvögel nicht irgendwo dort draußen waren. Makwa hatte viel Zeit mit Krampus verbracht; Isabel vermutete, dass es mindestens vierhundert Jahre waren, und je länger man sich in dessen Nähe aufhielt, desto mehr färbte seine Magie auf einen ab. Makwa musterte sie, als hielte er sie für schwachsinnig. Dann ging er den Pfad hinab, gefolgt von seinen Brüdern Wipi und Nipi. Isabel und Vernon setzten sich schulterzuckend in Bewegung.
Zu fünft rannten
Weitere Kostenlose Bücher