Krampus: Roman (German Edition)
Fairmont-Kohlengesellschaft gearbeitet. Das war etwa neunzehnhundertzehn. Isabel haben wir etwa …«
»Das war im Winter einundsiebzig. Damit bin ich wohl um die fünfzig, schätze ich.« Ihre Stimme hatte einen traurigen Unterton.
Jesse warf ihr einen kurzen Blick zu. Sie starrte aus dem Fenster in die Dunkelheit. Wie fünfzig sah sie jedenfalls nicht aus.
»Das ergibt doch alles keinen Sinn«, sagte Jesse.
»Das weiß ich auch«, erwiderte Isabel. »Kein bisschen. Aber so ist es nun einmal. Es liegt an Krampus … an seiner Magie. Was die Indianer angeht, die sind schon fast so lange bei Krampus, wie er in seiner Höhle feststeckt. An die fünfhundert Jahre, würde ich sagen.«
Jesse fiel auf, dass die Tankanzeige immer noch leuchtete, und er überlegte, wie er das zu seinem Vorteil nutzen konnte. Er deutete mit dem Daumen darauf. »Der Sprit geht uns gleich aus. Vielleicht sollten wir tanken, bevor wir uns auf den Weg in die Berge machen.«
»Das schaffen wir schon noch«, sagte Isabel.
»Du scheinst dir ziemlich sicher zu sein.«
»Ich bin wohl von Natur aus optimistisch.«
»Ja«, sagte Vernon, »das geht einem wirklich auf die Nerven. Zu viel Optimismus bringt einen ins Grab, sage ich immer.«
Makwa schob seinen langen Arm in die Fahrerkabine. »Dort.«
Jesse verlangsamte das Tempo, als er den Reflektor sah, und erkannte schließlich eine kleine, ungepflasterte Straße. Die Abzweigung war völlig zugewuchert, als hätte sie seit einer Ewigkeit niemand mehr benutzt. Mit laufendem Motor hielt Jesse mitten auf der Straße an. »Das soll wohl ein Witz sein?«
»Bieg einfach ab.«
Jesse dachte einen Moment lang darüber nach, einfach die Tür aufzureißen und loszurennen, doch dann erinnerte er sich daran, wie schnell diese Geschöpfe waren. »Verdammt noch mal«, sagte er und bog ab.
Der Wagen holperte durch den niedrigen Graben, und das Heck schrammte mit einem grässlichen Geräusch über den Stein. Äste kratzten an der Karosserie entlang, sodass Jesse die Zähne davon wehtaten. Die Straße stieg steil an – mit nur einem Scheinwerfer war es eine angespannte Fahrt. Der Ford rumpelte durch die vereisten, ausgewaschenen Spurrinnen, und Jesse verspürte eine gewisse Befriedigung, als er hörte, wie sich die Teufelsmänner hinten in der Campingkabine die Köpfe anstießen. Der Weg – als Straße mochte Jesse ihn inzwischen nicht mehr bezeichnen – führte in Serpentinen nach oben und kreuzte dabei mehrmals denselben Bach. Nach etwa einer halben Stunde endete er unvermittelt vor einer Wand aus herabgestürzten Felsbrocken.
»Fahr dort rüber«, sagte Isabel. »Unter die Bäume.«
»Wieso?«
»Mach es einfach.«
Jesse tat wie geheißen, und die Belznickel kletterten hinten aus dem Wagen. Makwa hatte den Weihnachtssack über der Schulter. Nipi hatte sich die Wunde im Gesicht mit einem Stoffstreifen verbunden. Anscheinend war die Blutung vorerst gestillt.
»Schalt den Motor aus«, sagte Isabel zu Jesse.
»Wie?«
»Du kommst mit.«
»Den Teufel werde ich tun!«
Sie streckte die Hand aus, drehte den Schlüssel und zog ihn ab.
»He!«
Sie steckte ihn zu ihrer Pistole in die Jackentasche, stieg aus und ging um den Wagen herum zur Fahrertür. »Du solltest lieber nicht alleine hier draußen bleiben. Vertrau mir.«
»Das ist nicht fair. Wir hatten eine Abmachung.«
»Da hast du recht. Nichts von alledem ist fair. Niemand weiß das besser als wir. Aber wir brauchen deinen Wagen. Wenn wir dich hier zurücklassen, fressen sie dich auf. Wer fährt uns dann wieder den Berg hinunter?«
Jesse hielt nicht besonders viel davon, gefressen zu werden.
Isabel öffnete die Fahrertür. »Ich will dich nicht rauszerren müssen.«
Ein entferntes Krächzen ertönte. Alle blickten auf.
»Wir müssen uns beeilen«, drängte Vernon.
»Scheiße!«, sagte Jesse, aber er schaltete das Licht aus und kam heraus.
Die Belznickel eilten im Laufschritt den dicht bewaldeten Hang empor. Isabel, die ganz hinten ging, schob Jesse vor sich her.
»Du weißt, was hinter uns her ist. Versuch, nicht zurückzubleiben. Hörst du mich?«
Jesse hörte das Krächzen von weit oben, hörte den heftigen Herzschlag in seiner Brust und fragte sich, ob er Abigail jemals wiedersehen würde.
***
Taumelnd und stolpernd hielt sich Jesse die Seiten. Seine Beine schmerzten, und während die eisige Luft ihm in der Kehle brannte, waren seine Finger taub vor Kälte. Rund um das Loch in seiner Hand spürte er ein dumpfes Pochen. Jesse
Weitere Kostenlose Bücher