Krampus: Roman (German Edition)
Aber Häuptling Besserwisser ist anscheinend der Meinung. Und wann hat er schon mal falschgelegen?«
Die Frau zuckte mit den Schultern.
Makwa streckte einen Finger in die Fahrerkabine und zeigte auf einen vor dem Nachthimmel kaum sichtbaren Hügelkamm.
»Ja, haben wir gesehen«, sagte der Bärtige.
»He, ich weiß, wo wir sind«, sagte die Frau. »In etwa anderthalb Kilometern müssten wir die Straße erreichen.« Sie blickte zu Jesse. »Hast du gehört? Bieg auf die nächste ungepflasterte Straße ab.«
»Von mir aus. Dort lasse ich euch dann raus.«
»Nein, das tust du nicht.« Sie sah ihn traurig an, und ihr Tonfall wurde sanfter. »Tut mir wirklich leid, aber du steckst jetzt mit drin. Du musst uns so weit wie möglich in die Berge bringen.«
»Tja, Süße«, erwiderte Jesse. »Ich bin momentan nicht in der Stimmung, mich irgendwo im Wald zu verlaufen … jedenfalls nicht heute Nacht. Deshalb lasse ich euch hier und jetzt raus.«
Sie stieß ihm die Pistole in die Rippen. »Ich bin momentan auch nicht in der Stimmung, dich zu erschießen, aber ich bin bereit, es zu tun.«
Jesse warf ihr einen kurzen, trotzigen Blick zu.
»Außerdem heiße ich nicht Süße, sondern Isabel.« Nach einer ganzen Weile fragte sie: »Was ist mit dir, hast du auch einen Namen?«
»Ja, zufällig schon. Er lautet Jesse.«
»Jesse, das hier ist Vernon.«
Der bärtige Teufel streckte ihm lächelnd die Hand hin. »Freut mich.« An der Art, wie er redete, erkannte Jesse, dass er nicht aus der Gegend stammte. Vielleicht kam er irgendwo aus dem Norden. Er betrachtete Vernons ausgestreckte Hand, als wäre sie nass von Speichel.
Vernons Lächeln verblasste, und er zog die Hand zurück. »Nun denn … dieser außergewöhnlich ungeschlachte Vertreter seiner Art hier«, er deutete auf den großen Teufel im Bärenfell, »ist Makwa. Der neben ihm heißt Wipi, und der unglückselige Kerl mit dem Einschussloch im Gesicht ist sein Bruder Nipi.«
Trotz ihrer Erscheinung hatte Jesse langsam das Gefühl, dass diese Geschöpfe – oder Personen, oder um was es sich auch handeln mochte – eher verängstigt und verzweifelt waren als gefährlich. Jedenfalls schienen sie ihm nichts Böses zu wollen. Obwohl er wusste, wozu sie fähig waren, und das Bild von Lynyrds aufgeschlitzter Kehle einfach nicht aus dem Kopf bekam, hielt er sie nicht länger für mordlüsterne Ungeheuer. Wie dem auch sei, wenn man verzweifelt war, tat man gefährliche Dinge, und Jesse kam zu dem Schluss, dass er sich so schnell wie möglich aus dem Staub machen musste, wenn er den morgigen Tag noch erleben wollte.
»Was seid ihr überhaupt für welche?«
»Was meinst du damit?«, fragte die Frau.
»Was soll ich damit schon meinen? Seid ihr Werwölfe, Schwarze Männer, oder macht ihr bloß einen auf Halloween?«
»Na ja«, antwortete sie verärgert, »nichts von alledem, vielen Dank auch. Ich bin ein Mensch, genau wie du.«
Jesse stieß ein nicht besonders freundliches Lachen aus. »Nein. Nein, das bist du ganz sicher nicht.«
»Krampus nennt uns Belznickel«, warf Vernon ein. »Du musst ihn schon selbst fragen, was genau das heißt.« Sein Tonfall wurde verbittert. »Wie du es auch drehst und wendest, es bedeutet, dass wir ihm dienen … als Sklaven.«
»Ich habe eine viel bessere Idee«, sagte Jesse. »Wie wäre es, wenn ihr stattdessen mich rauslasst? Ich versuche mein Glück per Anhalter.«
Isabel schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber das geht nicht.«
»Warum denn nicht? Ich überlasse euch meine Schrottkiste! Wofür braucht ihr mich denn noch?«
Niemand antwortete.
»Also?«
»Keiner von uns kann besonders gut fahren.«
»Wie bitte?« Jesse starrte die vier an und brach in Gelächter aus. »Ihr wollt mich wohl verarschen.«
Isabel runzelte die Stirn. »Ich bin mit sechzehn von zu Hause weggegangen. Meine Mom hatte sowieso kein Auto.«
»Was ist mit dem guten alten Vernon hier oder mit den Indianern?«
Die Frage brachte Isabel zum Lächeln. »Einen der Shawnees würde ich gerne mal beim Autofahren erleben. Solange ich nicht mit drin sitze zumindest. Und der letzte Wagen, den Vernon gefahren ist, wurde wahrscheinlich von einem Pferd gezogen.«
Vernon seufzte. »Als ich noch ein Mensch war, gab es nicht sonderlich viele Automobile.«
»Was redest du da?«
»Nun ja«, sagte Vernon, »wir sind ein wenig älter, als es den Anschein hat. Ich war neunundvierzig, als ich als Bodengutachter angefangen habe. Damals habe ich für die
Weitere Kostenlose Bücher