Krampus: Roman (German Edition)
schnell.
»Los!«, rief die Frau, und dann riefen alle: »Los, los! Los!«
Jesse verstand: Worum auch immer es sich handelte, sie wollten keine nähere Bekanntschaft damit machen. Er trat das Gaspedal durch, und der Wagen raste los. Der V8-Motor heulte auf, während der Tacho langsam höher kroch: dreißig … fünfzig … achtzig … »Mach schon!«, schrie Jesse den alten F150 an. »Mach schon, Baby! Du schaffst es!«
Kapitel 5
Monster
D ie Wölfe waren schon seit mindestens fünfzehn Kilometern außer Sicht, trotzdem hielten die Teufelsleute den Blick fest auf die hinter ihnen liegende Straße gerichtet. Niemand sprach ein Wort, während sie auf der Route 3 Richtung Süden fuhren und dem Coal River durch das verlassene Hügelland folgten.
Bislang hatte ihn niemand getötet, vielleicht hatte Jesse also noch eine Chance, lebend hier herauszukommen. »Also«, sagte er, »wo soll ich dich und deine Freunde absetzen?«
Die Teufelin musterte ihn. Das Feuer in ihren Augen war schwächer geworden; sie hatten immer noch diesen verstörenden Orangefarbton, glühten aber nicht mehr. Sie schob sich die Kapuze aus dem Gesicht, bedachte ihn mit einem ironischen Grinsen und schüttelte den Kopf. Ihr Haar war dunkel, verfilzt und fettig, anscheinend hatte jemand es mit einem Messer abgeschnitten. Aufgrund ihrer grauen Haut mit den schwarzen Flecken war ihr Alter schwer zu schätzen, aber Jesse vermutete, dass sie knapp zwanzig war.
Das Fenster zwischen Fahrerhaus und Campingkabine wurde aufgeschoben, und einer der Teufelsmänner steckte den Kopf zu ihnen herein. Wegen der tiefen Falten im Gesicht wirkte er älter, war vielleicht Ende fünfzig. Er hatte langes, fettiges Haar und einen struppigen schwarzen Bart. »Wir haben sie abgehängt!«
»Nein«, korrigierte ihn der große Teufelsmann, der neben ihm saß. Er war einer von jenen, die Hörner und Bärenfelle trugen. Wie auch die beiden gehörnten Monster neben ihm schien er sich die Haut mit schwarzer Farbe oder Teer eingeschmiert zu haben. Nun beugte er sich vor, wobei er darauf achtete, mit den Hörnern nicht ans Dach zu stoßen. »Du wirst ihn niemals abhängen. Nicht, solange uns die Raben folgen.« Er sprach gemessen, ein wenig gestelzt. Jesse fand, dass er wie ein amerikanischer Ureinwohner klang.
Die Frau kurbelte ihr Fenster herunter. Der kalte Wind drang in den Wagen. Sie streckte den Kopf nach draußen und blickte suchend in den Nachthimmel. Dann setzte sie sich wieder. »Sie sind nirgends zu sehen. Zumindest kann ich sie nicht entdecken.«
»Sie sind da«, sagte der Große. »Ich spüre ihre Anwesenheit.«
»Ich spüre nichts«, erwiderte der Bärtige. »Wieso bist du dir so sicher?«
Der Große bedachte ihn mit einem mitleidigen Blick.
»Sieh mich nicht so an. Ich hasse es, wenn du mich so ansiehst.« Der Bärtige schwieg eine Weile. »Was unternehmen wir nun gegen die Raben?«
»Was wir unternehmen?«, erwiderte die Frau. »Wir haben den Sack. Wir können nur eines tun.«
»Wie bitte?«, rief der Bärtige. »Wir sollen in die Höhle zurückkehren? Aber damit führen wir die Monster direkt zu ihm. Und zu uns. Dann sitzen wir in der Falle!«
»Wir haben keine Wahl«, beharrte die Teufelsfrau. »So lautet unser Befehl.«
»Dann sollten wir hoffen, dass der große, hässliche Alte sich befreien kann, bevor sie uns einholen, sonst werden wir nämlich eines schrecklichen Todes sterben.«
Niemand sagte ein Wort. Der einsame Scheibenwischer gab ein rhythmisches Quietschen von sich, während unter ihnen die matschige Straße im Scheinwerferlicht dahinglitt. Jesse fiel auf, dass der angeschossene Teufelsmann sich das Gesicht hielt. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Wahrscheinlich würde er es nicht mehr lange machen. Aber seit Jesse die Wölfe gesehen hatte, glaubte er nicht, dass auch nur einer von ihnen es noch besonders lange machte. »Also«, meldete er sich zu Wort. »Habt ihr schon darüber nachgedacht, wo ich euch absetzen soll?«
Niemand beachtete ihn.
»Fahren wir überhaupt in die richtige Richtung?«, fragte die Frau.
»Woher zum Henker soll ich das wissen?«, antwortete der bärtige Teufel.
»Du könntest ja mal Makwa fragen.«
Angewidert verzog der Mann das Gesicht, tat jedoch wie geheißen. Eine hitzige Diskussion entbrannte, begleitet von heftigen Gesten. Dann steckte er erneut den Kopf zu ihnen herein. »Anscheinend fahren wir in die richtige Richtung.«
»Bist du dir sicher?«, fragte die Frau.
»Nein, bin ich nicht.
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