Krampus: Roman (German Edition)
Gesicht. »Wie ist es dazu gekommen, dass sie Nikolaus dienen?«
»Krampus, wir sollten …«
»… uns beeilen. Dessen bin ich mir nur zu bewusst. Wenn er mich findet, wird er es diesmal nicht den Elementen überlassen, mich auszulöschen. Er wird mich vierteilen und seinen Monstern zum Fraß vorwerfen.«
Isabel schaute nervös auf den Sack. »Und?«
»Du willst wissen, worauf ich warte?«
Sie nahm den Sack und stellte ihn vor Krampus hin. »Der Schlüssel? Wie lange redest du schon von diesem Schlüssel? Komm schon … hol ihn raus und lass uns von hier verschwinden.«
So einfach hätte es sein sollen. Es hätte genügen sollen, wenn er sich den Schlüssel vorstellte, während er den Sack in der Hand hielt und ihm befahl, ihn zu finden. Dann hätte der Sack ein Portal öffnen sollen – eine Tür zwischen hier und dort –, an dessen anderem Ende der Schlüssel darauf wartete, ergriffen zu werden. Schließlich war es Lokis Sack, der Sack eines Ganoven, ein Sack, der einzig und allein dem Zweck diente, zu stehlen. Ebenjener Sack, den Loki verwendet hatte, um sich von den anderen Göttern zu holen, was immer er wollte. Jedenfalls war er nie dazu bestimmt gewesen, ein Spielzeug zu sein, mit dem man braven kleinen Jungen und Mädchen Geschenke brachte. Nur Sankt Nikolaus hat ihn so abscheulich zweckentfremden können.
»Was ist los?«, fragte Isabel. »Wo ist dein Feuer?«
Krampus schaute erst sie an und dann die Belznickel, die an der Wand aufgereiht dastanden. Er spürte ihre zunehmende Sorge. Ja, warum trödele ich herum, wenn die Lage derart ernst ist? Fürchte ich mich etwa? Was, wenn der Sack mich nach allem, was ich durchgestanden habe, nicht erhört? Was, wenn ich Nikolaus’ Bann nicht brechen kann? Dann werde ich hier unten auf meinen Tod warten müssen, wie zum Hohn mit Lokis Sack in den Händen. Der endgültige Beweis dafür, dass Nikolaus mich geschlagen hat … Damit würde diese Trophäe, die mir einst Erlösung verhieß, mich letztlich in den Wahnsinn treiben.
Krampus zog den Sack an sich, öffnete ihn und spähte in dessen rauchige Tiefen. Er wagte es nicht, die Hand hineinzustecken, weil er wusste, dass der Sack sich nach wie vor zu dem Ort öffnete, an dem Nikolaus ihn zuletzt verwendet hatte. Wahrscheinlich in sein Schloss, in ein Lagerhaus oder irgendwohin, wo er die Spielzeuge aufbewahrt, die er zu Weihnachten verteilt. Irgendwohin, wo seine Magie stark ist und meine Hand gefangen werden könnte. Diese Tür muss geschlossen werden.
Er legte beide Hände auf den Sack und atmete tief durch. »Loki, steh mir bei.« Er schloss die Augen und versuchte, mit seinen Gedanken den Geist des Sacks zu berühren. »Sieh mich. Höre die Stimme deines Herrn.«
Er spürte nichts, absolut nichts.
Einmal mehr suchte er nach dem Geist des Sacks, richtete seine ganze Willenskraft darauf. Das Gewölbe und alles um ihn herum verblassten, bis er schließlich allein mit dem Sack war. »Ich bin es, Krampus, der Herr der Julzeit aus dem Geschlecht des großen Loki. Erkenne deinen Herrn.«
Nichts.
Krampus schnappte nach Luft und stützte sich schwer auf die Hände. Er atmete tief und langsam, um nicht vor Anstrengung das Bewusstsein zu verlieren. Sein Blick ruhte auf dem Sack, und er dachte über dessen scharlachrote Farbe nach. »Blut«, sagte er dann und lachte. »Sein Spruch ist mit Blut gebunden, deshalb kann nur Blut ihn brechen. Es sollte offenkundig sein, doch ich fürchte, mein Verstand ist benebelt.«
Er schob den Zeigefinger zwischen die Zähne, biss leicht in die Fingerspitze und beobachtete, wie sich ein Blutstropfen darauf bildete. Dann zog er den Sack auf seinen Schoß und hielt den Finger darüber. Ein einziger Tropfen fiel auf den weichen Samt und perlte ab. »Ehre mein Blut«, flüsterte er und rieb den Tropfen in den Stoff.
Nichts passierte.
»Loki, hör mich an.« Er wartete, doch noch immer geschah nichts. Nur sein eigenes, angestrengtes Atmen war zu hören. Als er es nicht mehr länger aushielt, als er überzeugt war, dass er gleich den Verstand verlieren würde, bauschte der Sack sich leicht auf, und ein Lufthauch wehte heraus. Die Luft, die aus der Öffnung strömte, roch nach der Wildnis Asgards. Da hörte er seinen Namen – leise und von weit her.
»Loki?«, fragte Krampus heiser. »Loki … bist du das?« Der Sack verstummte und regte sich nicht mehr. Tränen stiegen ihm in die Augen. »Loki?«
Krampus sah zu, wie sich der dunkle Fleck, den sein Blut hinterlassen hatte,
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