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Krampus: Roman (German Edition)

Krampus: Roman (German Edition)

Titel: Krampus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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auf dem Stoff ausbreitete. Wirbelnde schwarze Linien bildeten sich und verwoben sich ineinander wie Aale im Nest, bis der Sack schließlich ganz schwarz war.
    Mit einem Lächeln wischte er sich über die Augen. »Ein Tropfen. Ein einziger Tropfen meines Blutes hat genügt. Wie viele Fässer Blut hat es dich gekostet, Sankt Nikolaus?« Er lachte.
    Der Sack erinnerte sich, weil der Sack sich erinnern wollte. Damit war die erste Missetat behoben, die erste von vielen. Der erste Tropfen Blut war vergossen, der erste von vielen … das Vorspiel zu einer wahren Flut.
    Er wankte und stellte fest, dass er zitterte. Sein Lächeln verwandelte sich in eine Grimasse. Fest verschränkte er die Finger ineinander und versuchte, sich zu fangen. Starke Hände ergriffen ihn und richteten ihn auf. Isabel.
    »Wird es funktionieren?«, fragte sie. »Wird der Sack den Schlüssel finden?«
    »Ich bin der Herr des Sacks. Wir wollen nur hoffen, dass meine Kraft noch ausreicht, um ihm zu befehlen.«
    Der Sack musste für ihn den Ort wechseln, den Schlüssel finden und ein neues Portal öffnen. All das war ein Kinderspiel gewesen, als er noch ein kraftstrotzender, gesunder Geist gewesen war, nun dagegen würde der Sack einen schweren Tribut von ihm fordern, denn solche Magie hatte immer einen Preis. Krampus blickte auf seine zitternden Hände, seine zerbrechlichen, schwachen Arme und Beine. Alle Kraft, die ich noch habe, brauche ich für mich selbst. Ihm wurde klar, dass der Versuch sehr wohl seinen Tod bedeuten konnte. Ein ironisches Lächeln stahl sich auf seine Züge. Und wenn du den Schlüssel nicht findest? Was dann?
    Er ergriff den Sack. »Ich bin total ausgezehrt, mein alter Freund. Ich brauche deine Hilfe.« Er schloss die Augen und beschwor das Bild des Schlüssels herauf, hielt es sich klar vor Augen. Wenn er gewusst hätte, wo der Schlüssel sich befand, dann hätte er den Sack steuern können, damit dieser ihn leichter gefunden hätte. Dann hätte der Sack Krampus einen geringeren Preis abverlangt. Aber Krampus wusste nur, wie der Schlüssel aussah, deshalb musste der Sack ihn suchen und dafür die geistige Kraft und Energie seines Herrn verwenden.
    Krampus spürte, wie der Sack sich mit Kraft auflud und in seinen Händen leicht pulsierte. Er sah den Kosmos, dann Wolken, dann Wald – über alles sauste er mit der Geschwindigkeit eines Meteors hinweg –, dann einzelne Bäume, einen riesigen See, dann seine Tiefen und schließlich den schlammigen Grund.
    »Der Schlüssel … Ich sehe ihn!«, rief Krampus und öffnete die Augen.
    Er wankte und fiel in Isabels Arme. Die Höhle verschwamm vor seinen Augen, während er verzweifelt versuchte, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Er wusste, wenn er jetzt ohnmächtig würde, würde er nicht wieder aufwachen, zumindest nicht rechtzeitig.
    Er griff nach dem Sack, legte die Finger an die Öffnung und schob die Hand hinein. Sie tauchte in Wasser, kaltes Wasser. Er streckte sie weiter hinein, bis sein ganzer Arm in dem Beutel steckte. Seine Finger erreichten den Grund des Sees, fuhren durch Schlamm und Lehm, tasteten und wühlten auf der Suche nach dem Schlüssel. Da stieß er mit der Hand gegen etwas Festes. Er umklammerte es und zog den Arm aus dem Sack.
    Arm und Hand waren klitschnass. Er öffnete die Faust, und dort, zwischen Schlamm und Kieseln, lag in seiner Handfläche … der Schlüssel. Krampus wischte den Lehm ab, und die gleichen uralten zwergischen Schriftzeichen kamen zum Vorschein wie jene, die sich auf seinem Metallkragen befanden. Der Schlüssel war noch nicht einmal angelaufen; genau wie die verhasste Kette um seinen Hals war er aus Heilerzen gefertigt, die der verlorenen Schmiedekunst des Zwergenreiches entstammten: Metalle, die sich selbst reparierten. Man konnte noch so lange versuchen, sie durchzusägen oder abzufeilen, sie blieben unbeschädigt. Niemand kannte ihre Macht besser als Krampus.
    Er küsste den Schlüssel. »Meine Freiheit.«
    Dann umfasste er den Metallkragen mit einer Hand, ertastete das Schloss und versuchte, den Schlüssel hineinzuschieben. Dabei zitterte er so sehr, dass er es verfehlte und ihm der Schlüssel aus der Hand fiel.
    »Moment«, sagte Isabel und hob ihn auf. »Lass mich mal.«
    »Nein!«, schrie er und fügte dann leiser hinzu: »Ich warte seit fünfhundert Jahren auf diesen Augenblick. Ich muss es selbst tun .«
    Er nahm den Schlüssel von ihr entgegen, zögerte, als die Welt vor seinen Augen verschwamm, und versuchte, sich zu fangen.

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