Krampus: Roman (German Edition)
Diesmal fand er das Schloss, steckte den Schlüssel hinein und drehte ihn. Ein unauffälliges Klicken ertönte, und der Kragen sprang auf. Fünfhundert Jahre Gefangenschaft endeten mit einem schlichten Klicken. Krampus nahm den Kragen ab, bedachte ihn mit einem letzten bösen Blick und schleuderte ihn in den Dreck.
Er schaute sich in der Höhle um, in seinem Gefängnis, betrachtete die rußgeschwärzten Wände, die ihn umgaben, die Karten, mit denen er die Spur von Nikolaus verfolgt hatte, die unzähligen Bilder von Sankt Nikolaus, all den Dreck, die Knochen, bis sein Blick schließlich auf die Belznickel fiel. »Ich bin frei«, sagte er heiser. »Ich bin frei.« Dann verdrehte er die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war, und Finsternis übermannte ihn.
***
»Ist er tot?«, fragte Vernon anscheinend hoffnungsvoll.
»Ich glaube nicht«, antwortete Isabel.
»Nein«, fügte Makwa mit absoluter Gewissheit hinzu.
»Nein?« Vernon ließ die Schultern hängen. »Natürlich nicht. So einfach wird es wohl kaum sein.«
Krampus hatte sich zu einer leblosen Kugel zusammengerollt. Isabel schüttelte ihn behutsam, doch er reagierte nicht. Jesse fand, dass das Wesen nicht nur tot, sondern vielmehr wie etwas aussah, das bereits einige Monate unter der Erde gelegen hatte.
Isabel sprang auf, eilte zu einem Haufen alter Decken, zog eine hervor und brachte sie Krampus. »Worauf wartet ihr noch, Leute? Wir müssen ihn hier rausschaffen.« Sofort setzten sich die drei Shawnees in Bewegung und wickelten Krampus in die Decke. Makwa legte ihn sich über die Schulter und machte sich auf den Weg Richtung Schacht.
Vernon durchwühlte einen Stapel mit Ausrüstungsgegenständen und förderte zwei Schrotpatronen zutage. »Ist das alles, was wir noch haben?« Niemand schien darauf eine Antwort zu wissen. »Verdammt noch mal, ich habe euch doch gesagt, dass wir mehr brauchen als Pfeil und Bogen. Hört mir hier überhaupt mal jemand zu? Nein, ihr müsst nicht antworten, ich weiß schon: Keiner hört mir zu.«
Isabel nahm den Samtsack und stieß Jesse in Richtung Schacht. »Zeit zu verduften.«
»Hast du eine Ahnung, was wir machen sollen?«, fragte Vernon. »Hat hier irgendjemand einen Plan?«
Niemand antwortete.
»Dachte ich mir.« Seufzend steckte Vernon die Patronen ein und kletterte ihnen hinterher.
***
Die Sterne leuchteten Jesse zur Begrüßung, als er zwischen den Felsbrocken hervorkam. Über Nacht hatte es aufgeklart, und das Mondlicht warf Schatten auf den Schnee.
»Ich fürchte, die Vögel werden jetzt keine Schwierigkeiten mehr haben, uns zu entdecken«, bemerkte Vernon.
Sie liefen am Rand einer großen Lichtung entlang. Über ihnen erstreckte sich der weite Himmel. »Halt«, rief eine schwache, krächzende Stimme. Krampus öffnete die Augen. Sein Blick war so glasig, als hätte er zwei Tage durchgesoffen. »Mani.« Er holte tief Luft und hob eine zitternde Hand Richtung Mond, als könnte er ihn erreichen, ihn streicheln. »So süß. So … süß.«
»Weiter«, fauchte Isabel.
»Nein … wartet. Ich brauche ihre Magie.« Er hob das Kinn und badete sein Gesicht in den Strahlen des Mondes.
Voll Unbehagen traten die Belznickel von einem Fuß auf den anderen und spähten in den Wald.
Ein Krächzen von weit oben ließ Vernon zusammenzucken.
»Sie haben uns gefunden«, sagte Makwa.
»Ja.« Krampus nickte.
Vernon richtete die Schrotflinte nach oben.
»Verschwende keine Munition«, sagte Isabel. »So weit kommst du nicht mit dem Gewehr.«
Ein weiteres Krächzen wurde von einem Heulen aus dem Tal zu ihren Füßen beantwortet, einem langen, tiefen Ton, gefolgt von einem weiteren. Jesse hatte keine Ahnung, wie weit ihre Verfolger entfernt waren.
»Freki und seine Gefährtin Geri«, sagte Krampus mit sichtlicher Zuneigung. Er lächelte. »Klingt, als wären sie auf der Jagd.«
Vernon sah ihn ernst an. »Sie sind auf der Jagd … und zwar nach uns, du Trottel.«
»Krampus«, sagte Isabel, »wir müssen …«
»… weiter«, beendete Krampus den Satz. »Ja.« Während er sprach, wandte er den Blick nicht vom Mond. Er lächelte, und eine Träne rann ihm über die Wange. Ein letztes Mal streckte er die Hand aus, dann sackte sein Arm herab und die Augen fielen ihm zu.
»Los!«, sagte Isabel und schob den großen Shawnee weiter. Sie rannten.
***
Weiter vorne sah Jesse Chrom im Mondlicht aufblitzen. Die Belznickel warteten am Heck seines Lieferwagens auf ihn und Isabel. Wachsam behielten sie Felsen und Bäume
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