Krank für zwei
kann nur durchgesetzt werden mit einer harten, sicheren Hand.«
»Ich nehme an, eine solche Hand haben allein Sie.«
»Von mir aus können Sie sie gerne testen«, Kellermann schaute Marlene Oberste herausfordernd an. »Ich muß jetzt direkt zur Visite. Sie können mich gerne begleiten.«
»Vielen Dank, Herr Dr. Kellermann«, die Hauptkommissarin raffte ihre Tasche zusammen. »Auf Ihre Gesellschaft verzichte ich mit besonderem Vergnügen.«
14
»Achtung Rutschgefahr!« Das Schild stand unübersehbar direkt vor meiner Zimmertür. Es ließ sich unschwer erkennen, warum es da aufgestellt war, denn nur drei Meter entfernt grummelte eine Putzfrau wütend vor sich hin. Ich hörte etwas von »wer bezahlt mir diese Überstunden« und »gerne auch noch die ganze Nacht durcharbeiten«, dann blickte die Frau zu mir herüber. »Gehn Sie ruhig durch!« ermunterte sie mich wenig herzlich. Die Stimme hörte sich nicht so an, als sollte ich mich dagegen entscheiden.
»Na, wenn Sie meinen!« Mit großen Schritten überwand ich die glänzende Fläche und machte mich vom Acker. Am Ende des Flurs war eine Praktikantin dabei, Sprudelflaschen für die Nacht auszugeben. Von den anderen Patienten war keiner zu sehen. Offensichtlich waren sie noch beim Abendessen, und die Zeit fürs Dessertzigarettchen war noch nicht gekommen. Ich wußte gar nicht genau, wo ich hinwollte, nur daß ich mal aus meinem Zimmer hinauswollte. Kurzerhand entschied ich mich, die Station zu verlassen. Ich nahm die Treppen und kam auf dem Weg nach unten wieder an den Bildern der Chefärzte vorbei. Im Vorbeigehen wurde mir bewußt, daß keine einzige Frau dabei war. Hier im Krankenhaus gab es ziemlich viel weibliches Personal. Allerdings bezog sich das offensichtlich nicht auf die Chefetage.
Nachdenklich machte ich mich auf den Weg zur Cafeteria. Es gab zwar wenig Aussicht, dort einen echten Absacker serviert zu bekommen, aber vielleicht konnte ich mir dort besser die Zeit vertreiben als auf meinem Zimmer. Inzwischen war ich im zweiten Stock auf der Inneren angekommen. Auch hier wurden gerade die Tabletts eingesammelt. Eine korpulente Schwester schob einen Küchenwagen über den Flur. Als an einem der Krankenzimmer die Tür aufstand, ertappte ich mich dabei, wie ich im Vorbeigehen verstohlen hineinblickte. Es war nur eine Sekunde, in der ich das Innere wahrnehmen konnte, und doch lief mir ein Schauder über den Rücken. Zwei Frauen hatten auf dem Zimmer gelegen, mit schlohweißem Haar und ausgemergeltem Gesicht. Die eine wurde gerade mit einem Löffel gefüttert, die andere hatte die Augen geschlossen. Ich atmete tief durch. Sie hatte wie tot ausgesehen. Oder konnte im Tod die Haut noch weißer und das Gesicht noch schärfer wirken als bei der Dame dort drinnen? Mit hastigen Schritten ging ich weiter. Endlich hatte ich die Glastür erreicht und stand nun dort, wo ich heute mittag schon per Aufzug angekommen war. Verdammt, die Cafeteria machte gerade zu. Ich warf einen Blick auf die Armbanduhr. Halb sieben, schon Feierabend. Ich ließ meinen Blick schweifen. Links neben der Cafeteria lag der Eingang zur Kapelle. Die zweiflüglige Holztür aus schwerer Eiche war noch nicht verschlossen. Geistige Einkehr war offensichtlich für die Patienten länger zu haben als eine Tasse Kaffee. Neugierig trat ich einen Schritt näher. Oberhalb der Tür war eine Darstellung aus Metall angebracht – ein Pelikan, der sich selbst in die Brust pickte, um mit dem eigenen Fleisch die Jungen zu füttern. Eine Erinnerung überkam mich. Eine solche Pelikandarstellung war auch in meiner Heimatkirche zu sehen gewesen, dort allerdings in Form eines bunten Fensterbildes. Die Darstellung hatte mich schon als Kind fasziniert. Sich selbst Schmerz zuzufügen, um die Kinder zu retten, das hatte damals mein Vorstellungsvermögen überstiegen.
Ich machte einen Schritt in die Kapelle hinein und staunte. So groß hatte ich mir den Raum nicht vorgestellt. Hier hatte gut und gerne eine kleine Kirchengemeinde Platz. Ob die Kirchenbänke heute noch alle genutzt wurden?
Langsam ging ich weiter in den dunklen Raum hinein. Die Kapelle war wie von Stille durchflutet. Ich setzte mich einen Augenblick in eine der hinteren Bänke. Die Kälte des nackten Holzes durchströmte meinen Körper. Ganz vorn im Kirchenraum stand ein schlichter Altar. Komisch eigentlich, daß das größte Kreuz hinten an der Rückwand angebracht war. Das Kreuz. Schwester Gertrudis’ Worte fielen mir ein. Der Täter möchte eine
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