Krank für zwei
Und nicht nur das. Ich wußte, was jetzt kam. Schwester Gertrudis war aus keinem anderen Grund hier, als mit mir diesen Mordfall zu besprechen. Denn unsere Sekretariatsnonne verstand sich als Expertin, seit sie fast alle Agatha-Christie-Bände auswendig hersagen konnte.
»Ich kann wirklich nichts dafür«, versuchte ich mich zu verteidigen, »ich hörte diesen Schrei, und da bin ich natürlich losgelaufen, hinter der Krankenschwester her, die den Schrei ebenfalls gehört hatte. Kein Mensch wäre untätig stehen geblieben«, erklärte ich. »Man hatte das Gefühl, da schrie jemand um Hilfe. Aber als ich dann das Büro erreichte, war alles schon passiert. Es war die Sekretärin von Dr. Peuler, die so furchtbar geschrieen hat. Was allerdings auch kein Wunder war. Es war ein grauenvolles Bild, das sich uns da bot Ein Bild, das mir den ganzen Tag nicht aus dem Kopf geht«
»Der Mann ist erschlagen worden, hat mir Schwester Ignazia erzählt«, Gertrudis nestelte an ihrer schwarzen Haube herum. »Ignazia arbeitet hier im Krankenhaus an der Pforte. Wir gehen gelegentlich gemeinsam Fahrrad fahren.« Bei Schwester Gertrudis wunderte mich gar nichts. Sie spielte leidenschaftlich am Computer und verfolgte mit Inbrunst die Begegnungen von Borussia Dortmund. Da waren gemeinsame Fahrradausflüge mit einer Schwester des Krankenhausordens eine geradezu alltägliche Beschäftigung.
»Ignazia hat mich auch darüber informiert, daß Sie an der Sache beteiligt sind!« Gertrudis’ Worte hatten eindeutig etwas Vorwurfsvolles.
»Ich bin nicht an der Sache beteiligt«, verteidigte ich mich. »Ich stand zufällig vor der Toilettentür, als dieser Schrei durch die Flure zu hören war. Sie können mir glauben, ich hätte auf den Toilettengang verzichtet, wenn ich geahnt hätte, welcher Anblick da auf mich zukommen würde.«
»Jetzt ist es aber nun mal passiert«, stellte Gertrudis pragmatisch fest, und ihr Tonfall vermittelte so etwas Ähnliches wie ’Selber schuld’.
»Warum erzählen Sie mir eigentlich nichts über das Kreuz?«
»Das Kreuz?« Ich schluckte. Warum erzählte ich eigentlich nichts über das Kreuz? Nun, das Kreuz war unheimlich, beängstigend. Außerdem hatte ich das Gefühl, dieses Detail unterliege ganz automatisch höchster Geheimhaltung. Um so mehr wunderte es mich, daß Gertrudis mich so offen darauf ansprach. Das Kreuz schien ja bereits in aller Munde zu sein.
»Das Kreuz«, wiederholte ich schleppend. »Hat Ihnen davon auch diese Schwester Ignazia erzählt?«
»Im Vertrauen natürlich«, beeilte sich Gertrudis zu sagen. »Diese Sache soll selbstverständlich nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Aber Ignazia hat von einer Mitschwester darüber gehört. Soviel ich weiß, ist sie Stationsschwester auf der Drei. Kann das sein?«
»Schwester Berthildis«, seufzte ich.
»Schwester Berthildis«, bestätigte Gertrudis. »Nun, was denken Sie über das Kreuz?«
»Ich versuche, möglichst überhaupt nicht an das Kreuz zu denken«, stöhnte ich. »Glauben Sie mir, die Geschichte geht mir wirklich an die Nieren – und das, wo mein Blinddarm sowieso schon entzündet ist. Speziell dieses Kreuz läßt mich einfach nicht mehr los.«
»Das ist genau die Absicht«, sagte Gertrudis und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Genau das will ein Täter, der ein solches Symbol hinterläßt. Er will eine Aussage machen, einen Hinweis geben. Er möchte, daß die Menschen darüber nachdenken. Er will, daß sie seine Botschaft verstehen.«
»Aber das ist doch verräterisch«, warf ich ein. »Das bedeutet doch, daß beim Verstehen der Botschaft die Spur zum Täter offen daliegt. Das kann dem Mörder doch nicht recht sein.«
»Genau das ist ja der Reiz«, erklärte Gertrudis, als sei sie in der Reihe von Polizeiprofìlern eine echte Kapazität. »Es ist ein Rätsel, eine Aufgabe, die gelöst werden muß. Der Täter spielt mit den Ermittlern. Er testet sie.«
»Aber das heißt, daß er sich seiner Sache sehr sicher sein muß.«
»So ist es. Dieses Symbol muß sehr indirekt gemeint sein. Es zu entschlüsseln wird keine leichte Aufgabe sein.«
»Für die Polizei!« betonte ich. Schwester Gertrudis überhörte meine Bemerkung.
»Was halten Sie eigentlich von der Todesart?« Die Frage war ein Witz an sich. Was hielt ich von der Todesart?
»Mir fällt es schwer, unter verschiedensten Todesarten die originellste zu prämieren«, sagte ich sarkastisch. »Ich halte nämlich grundsätzlich nichts von Mord. Stellen Sie sich das
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