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Krank für zwei

Krank für zwei

Titel: Krank für zwei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Heinrichs
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Botschaft hinterlassen. Eine Botschaft, die entschlüsselt werden soll. Ich beugte mich vor und begann zu grübeln. Was war das für eine Botschaft? Ein Kreuz war so allgemein. Es bedeutete Tod. Der Täter hatte sein Opfer umgebracht. Aber das war doch viel zu banal. Das war keine Botschaft. Ganz deutlich sah ich jetzt wieder das rote Kreuz vor meinen Augen. Die in die Haut eingeritzten Schnitte waren beide gleich lang gewesen. Sie unterschieden sich somit deutlich von einem Kreuz, wie es hier in der Kapelle angebracht war. Das Kreuz, das ich heute morgen auf Dr. Peulers Rücken gesehen hatte, hätte genauso gut ein Pluszeichen sein können.
    »Nervös?« Die tiefe Stimme war direkt an meinem Ohr. Ich fuhr zusammen und drehte mich um.
    Dr. Wolkov kniete in der Bank hinter mir. Sein Kopf war nur dreißig Zentimeter von meinem entfernt. Er mußte unmittelbar nach mir in die Kapelle gekommen sein. Und zwar auf denkbar leisen Sohlen.
    »Nervös, ja, ich bin nervös.«
    »Kein Grund, kein Grund«, sagte Dr. Wolkov. »Reine Routine.«
    »Ich weiß«, stotterte ich. Noch immer steckte mir der Schreck in den Gliedern. »Aber es war alles etwas viel heute.«
    Dr. Wolkov antwortete nicht darauf. Ich selbst hatte einfach nur den Wunsch, diesen Ort zu verlassen.
    »Schönen Abend dann noch«, sagte ich beim Aufstehen. Wolkov nickte nur kurz. Wie er da so in der Bank kniete, hatte ich den Eindruck, daß er in Ruhe beten wollte. Als ich auf dem Weg zum Ausgang am Kreuz vorbeikam, blieb ich doch noch einen Augenblick stehen. Was war die Botschaft? Wenn man diese Frage beantwortet hatte, war der Weg zum Täter nicht weit. Mein Blick blieb am Korpus des großen Holzkreuzes hängen. Jesus hatte in der rechten Seite eine Wunde – der Lanzenstich eines Soldaten unterm Kreuz. Aus der Einstichstelle tropfte ein wenig Blut. Ich weiß nicht, ob es ein unheiliger Gedanke war – auf jeden Fall kam mir in den Sinn, daß ungefähr an dieser Stelle auch der Blinddarm liegen müßte. Unwillig schüttelte ich den Gedanken ab und schaute mich noch einmal nach Wolkov um. Der russische Arzt hatte die Hände vorm Gesicht, so wie ich es als Kommunionkind gelernt hatte, wenn man die Hostie empfangen hatte. Was hätte ich gegeben, wenn ich nun Wolkovs Gedanken hätte lesen können. Bat dort ein Mörder um Vergebung? Ich wandte den Blick ab und ging zum Ausgang.
    Direkt neben der Eichentür fiel mir ein schmiedeeiserner Schirmständer auf. Ich stutzte. Wozu brauchte man einen Schirmständer, wenn ausschließlich Patienten und Schwestern aus dem Hause hierherkamen? Konnten die Fußkranken hier ihre Krücken abstellen? Nun, ich mußte ja nicht alles verstehen. Nur, wer Dr. Peuler umgebracht hatte, das wollte ich schon irgendwann wissen.
    +
    Als die Dunkelheit über das Zimmer gekommen war, holte er es heraus. Vorsichtig legte er das Skalpell auf den Schreibtisch und versuchte sich zu konzentrieren. Ein tiefes Gefühl der Befriedigung überkam ihn. Er hatte es getan, er hatte es wirklich getan!
    Seine Vorbereitungen hatten sich bewährt. Es war, wie er vermutet hatte. Je besser die Vorüberlegungen, desto unproblematischer die Durchführung. Im Grunde war alles so einfach gewesen. Der Schlag, das Kreuz. Alles zusammen hatte es nicht länger als drei Minuten gedauert, bis er wieder aus dem Zimmer heraus gewesen war. Und die Zeit hatte gereicht. Schließlich hatte er die Situation vorher oft genug durchgespielt. Er wußte, wo er sitzen würde, und er wußte, wonach er greifen mußte.
    Was er nicht genau sagen konnte, war, wann man ihn gefunden hatte. Nach seinen Berechnungen müßte es um sieben Uhr sechzehn gewesen sein. Das war so nicht geplant gewesen. Frau Merz kam eigentlich immer erst um halb acht. Insofern hatte er Glück gehabt. Trotz aller Vorbereitungen hätte er erwischt werden können. Aber es hatte geklappt Er hatte in Ruhe verschwinden können. Wirklich, ganz in Ruhe.
    Vorsichtig faßte er jetzt über den Griff des Skalpells. Nur in diesem Punkt war er vom Plan abgewichen. Eigentlich hatte er das Werkzeug verschwinden lassen wollen. Aber plötzlich war sein Bedürfnis, es zu behalten, so groß gewesen. Er hatte es in seine Tasche gesteckt und sah plötzlich gar kein Problem mehr darin. Niemals würde er verdächtigt werden. Er konnte es verwahren. Abends in der Dunkelheit würde er es herausnehmen und vorsichtig streicheln. In Zeitlupe glitt sein Zeigefinger über die Oberfläche der Klinge. Sie fühlte sich stumpf an, irgendwie hügelig.

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