Krank (German Edition)
schaltete den Motor ein und fuhr an Cherry vorbei, die mich mit einer Handbewegung aufforderte, stehen zu bleiben.
»Mir ist gerade noch etwas eingefallen. Wir haben doch mal über Charpentier gesprochen, oder? Falls er wirklich so scharfsinnig ist, wie McCoy denkt, wäre es vielleicht sinnvoll, wenn auch er mitkommt. Könnten Sie bei ihm vorbeischauen und mal vorsichtig vorfühlen, ob er Zeit hat?«
Mir rutschte das Herz in die Hose. »Sie möchten, dass Charpentier zur Aufbahrung kommt?«
»Der Mann ist immerhin Seelenklempner, oder? Wir sind auf professionelle Unterstützung angewiesen, und da die Feds sich raushalten …«
»Charpentier ist ein komischer Kauz.« Dass ich nicht stammelte, war ein Wunder. »Aber ich werde fragen.«
Kapitel 20
Ich kehrte zu meiner Hütte zurück, zog einen dunklen Anzug an und fuhr zu Jeremy hinüber. Obwohl es schon ziemlich spät war, lief er immer noch im Schlafanzug und braunen Lederhausschuhen herum. Der Pyjama war hellblau mit weißen Paspeln und erinnerte mich an die Dinger, die wir als Kind getragen hatten. Er war gerade dabei, seine Post zu öffnen, wofür er einen Dolch mit Perlmuttgriff verwendete.
»Du weißt bestimmt schon, dass es sich bei dem ersten Opfer um einen Mann namens Sonny Burton handelt«, meinte ich.
»Mein Polizeiscanner ist immer an. Faszinierende Vorgehensweise, was?«
»Burton wird in einer Stunde aufgebahrt, und Cherry möchte, dass du uns begleitest.«
Der Dolch fiel zu Boden. » WIE BITTE ?«
»Keine Sorge, du kannst ja behaupten, du hättest Grippe oder so etwas in der Art, aber ich will, dass du sie wenigstens kennenlernst. Bei der Gelegenheit kannst du dich ihr als gutmütigen Professor präsentieren. Tu das jetzt und hier, wo du die Situation unter Kontrolle hast.«
»Warum will deine kleine Schleiereule mich bei der Aufbahrung dabeihaben?«
»McCoy hat ihr geflüstert, du wärst ein begnadeter Psychologe. Wieso musstest du auch mit deinem Psychogelaber hausieren gehen, als wärst du der Freud-Jung-Wanderzirkus?«
»Ich weigere mich, mein Licht unter den Scheffel zu stellen«, entgegnete er leicht verschnupft.
»Cherry wird in einer Viertelstunde hier sein«, sagte ich. »Zieh dein Kostüm an.«
*
Ich wartete auf der Veranda, bis Cherry auftauchte. Zum ersten Mal trug sie ein Kleid. Der amethystfarbene Stoff brachte ihre schmale Taille und die schön geschwungenen Hüften zur Geltung, und obwohl der mit dunklen Steinen besetzte Ausschnitt eher klein war, akzentuierte er ihr helles Dekolleté. Der am Knie endende Saum lenkte den Blick auf ihre wohlgeformten Waden und schmalen Fesseln.
»In diesem Outfit passen Sie auf einen Pariser Laufsteg«, entfuhr es mir.
Sie neigte den Kopf, als würde ich sie auf die Schippe nehmen. »Das Kleid stammt aus einem Secondhandladen in Jackson, hat zwölf Dollar gekostet, und ich musste mit Nadel und Faden ran, damit es halbwegs sitzt, was einen ganzen Tag gedauert hat.«
»Wenn es noch besser säße, würde es mich umhauen.«
Sie errötete leicht. »Na, kommt der Doc nun mit oder nicht?«, wechselte sie das Thema und stellte sich zu mir auf die Veranda.
»Er ist krank und wird uns von daher nicht begleiten können«, sagte ich in der Annahme, dass Jeremy hinter der Tür lauerte, um uns zu belauschen.
Ihre Miene verdüsterte sich. »Zumindest haben Sie’s versucht. Was hat er denn?«
Mein Bruder, der jetzt Jeans und ein Sweatshirt mit dem Wappen vom Edmonton Oilers Hockey Team trug, stieß die Tür hinter meinem Rücken auf.
»Mon Dieu« , flötete er, hielt schnurstracks auf Cherry zu und überging meinen Versuch, die beiden einander vorzustellen, als würde ich überhaupt nicht existieren. »Seit meiner Ankunft hier ist mir keine so schöne Frau unter die Augen gekommen!« Jeremy neigte den Kopf, nahm Cherrys Hand und hauchte einen Kuss darauf. »Sie stellen selbst einen Engel in den Schatten, meine Liebe.«
Cherrys Gesicht nahm den Farbton einer Kirsche an. Sie bewegte die Lippen, brachte jedoch kein Wort heraus.
»Ich habe gerade erwähnt, dass Sie sich unwohl fühlen, Dr. Charpentier«, meldete ich mich zu Wort.
Er schüttelte den Kopf, als ärgere er sich über sich selbst. »Ich leide an RDS. Manchmal habe ich gar keine Probleme und dann ist es wieder richtig schlimm … so wie heute.«
»Meine Tante hat das auch«, sagte Cherry, die ihre Sprache wiedergefunden hatte. »Ich verstehe, dass Sie unter diesen Umständen das Haus nicht verlassen möchten, Dr.
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