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Krank (German Edition)

Krank (German Edition)

Titel: Krank (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerley
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in den weißen Hemdstoff. Im Geist blendete ich bestimmte Gesichtspartien aus, bis ich nur noch den Mann hinter Gittern sah, der urplötzlich völlig anders wirkte. Lüstern.
    »Burton ist erregt«, flüsterte ich.
    »Du lernst aber schnell«, lobte mein Bruder.
    Wir gingen zum Sarg hinüber, um einen Blick auf den Toten zu werfen. Bis auf die Tatsache, dass der Kosmetiker hervorragende Arbeit geleistet und bei Burton einen Eifer aufgeboten hatte, als müsste er ein Playboy-Modell fürs Fotoshooting zurechtmachen, gab es nichts zu entdecken. Die Hände waren auf der Brust gefaltet, auf der vergangene Woche noch ein Truck gestanden hatte. Der Leichenbestatter hatte ein Luftkissen unter die Jacke des schlichten Anzuges geschoben, damit den Trauergästen Burtons eingedrückter Brustkorb nicht auffiel.
    Mit ausladenden Schritten hielten wir auf den Ausgang zu und wären beinah mit Cherry zusammengestoßen, die eben die Kirche betrat.
    »Dr. Charpentier?«, rief sie beim Anblick meines Bruders überrascht.
    »Mein Zustand hat sich gebessert«, meinte Jeremy, »und da habe ich mir erlaubt, Ihre Einladung anzunehmen.«
    »Danke, dass Sie gekommen sind.«
    Jeremy nickte und tänzelte mit den Händen in den Hosentaschen langsam nach draußen, als könnte er kein Wässerchen trüben. Cherry machte auf dem Absatz kehrt, um sich die Kennzeichen aller Fahrzeuge zu notieren, die nicht aus der Region stammten. Ich ließ mich auf einer Kirchenbank nieder. Da die Aufbahrung fast zu Ende war, tauchte nur noch eine Handvoll Leute auf, die nach ein paar Minuten wieder verschwanden.
    Ein schmächtiger Mann Anfang vierzig weckte meine Neugier. Mit einer langen schmalen Blumenschachtel, die wahrscheinlich Rosen enthielt, stand er vor dem Sarg. Die Wahl der Blumen passte nicht zum Anlass, aber der Mann wirkte auch nicht sonderlich kultiviert. Aufgrund der Nervosität, die sich in seinem dünnen, eingefallenen Gesicht spiegelte, hielt ich ihn für einen Menschen, der sich auf Trauerfeiern unwohl fühlte – so wie ich.
    In dem Moment tauchte die ältere Dame auf, der ich schon vor der Kirche begegnet war. Sie führte immer noch Selbstgespräche und stützte sich auf ihren Stock. Als sie den schmächtigen Mann erblickte, blitzten ihre Augen hinter den dicken Brillengläsern auf, und sie ging weiter, um ihn aus der Nähe zu betrachten. Der Mann schien den Blick der alten Dame zu spüren, schaute in eine andere Richtung und klammerte sich an seiner Blumenschachtel fest. Die Frau schürzte nachdenklich die Lippen, drehte um und verließ leise murmelnd das Gotteshaus, in dem nun nur noch ein paar Nachzügler ausharrten.
    Ich hörte Schritte. Der schmächtige Mann stand dicht vor dem Sarg und starrte auf Burton herab. Obwohl er mir nur eine Gesichtshälfte zudrehte, sah ich ganz deutlich, wie ein Muskel in seinem Gesicht zuckte.
    Wie erstarrt stand der Mann da und rührte sich erst, als er die Schleife von der Blumenschachtel löste. Zuerst fiel das Geschenkband zu Boden, dann der Deckel.
    Entgegen meiner Annahme lag in der Schachtel kein Strauß Blumen, sondern ein Baseballschläger. Wie einen Hammer schwang der Mann den Prügel über den Kopf und drosch dann damit auf das Gesicht des Toten ein. Ein lautes Klatschen hallte durch die Kirche. Rosafarbener Gesichtspuder wirbelte durch die Luft. Wieder schlug der Mann zu, diesmal brach der Schädel entzwei. Hirnmasse spritzte durch die Luft. Hinter mir ertönten Schritte und Geschrei.
    Der Mann holte zum dritten Mal aus, als ich nach vorn stürmte, um mich auf ihn zu werfen. Er sprang zur Seite, verpasste mir einen Schlag und traf mich hinter dem Ohr. Ich ging zu Boden. Mir war schwindelig. Mein Versuch, wieder auf die Beine zu kommen, scheiterte. Der Mann ließ von mir ab und machte sich abermals daran, auf Burton einzuprügeln. Kleine Hirnmassebrocken regneten auf mich herab. Ein Tischbein hielt der Wucht der Attacke nicht stand und brach. Der Sarg kippte herunter, Burtons Leichnam rollte heraus und landete neben mir. Mit Ausnahme eines halb aus der Höhle hängenden Auges war von seinem Gesicht nicht viel übrig. Das Luftkissen unter der Anzugsjacke platzte.
    Fassungslos blickte ich in Burtons Zyklopenauge, das leer zurückstarrte, als sein Brustkorb, begleitet von einem leisen Pfeifen, in sich zusammenfiel.

Kapitel 21
    Ich war so benommen, dass ich mich nicht auf den Beinen halten konnte. Die Beule hinter meinem Ohr war inzwischen auf die Größe einer Pflaume angeschwollen. Cherry besorgte

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