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Krank (German Edition)

Krank (German Edition)

Titel: Krank (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerley
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Krawatten, die sie angelegt hatten, nicht wohl fühlten. Das waren bestimmt Saufkumpel von Burton, die nicht sonderlich bösartig wirkten. Eine alte Dame in einem blauen Kleid, die vor sich hin brabbelte und einen Gehstock benutzte, näherte sich schwerfällig. Sie mischte sich in die Unterhaltung der Männer ein und sprach jeden der Typen einzeln an. Die Männer nickten, antworteten artig und versteckten die Zigaretten hinter ihren Rücken wie Kinder, die man beim Rauchen auf dem Schulhof erwischt hatte.
    Es kostete mich einige Überwindung, nicht zu dem blauen Überwachungsfahrzeug hinüberzuschauen, das ganz hinten auf dem Parkplatz stand. Ich hätte mein Geld darauf verwettet, dass Krenkler durch ein Fernglas spähte.
    »Ist dir dein Schätzchen abhandengekommen, Carson?«
    Ich riss meinen Kopf herum und erblickte das strahlende Antlitz meines Bruders. Ein dunkler Anzug schmiegte sich an seinen Körper wie bei einem Vogue-Modell, und sein Lächeln wirkte jugendlich und warmherzig. Er hatte ein blaues Hemd gewählt, das perfekt mit seinen Wanderdrosseleier-blauen Augen korrespondierte. Sein Eau de Toilette erinnerte an rauchigen Sherry mit einem Schnitz Limone.
    »Jeremy? Was tust du …«
    »Du hattest recht. Schlage ich mich ein Stündchen auf die Seite der Engel, kann ich Miss Cherry von meinen Staatsbürgertugenden überzeugen. Du hast mir ja gar nicht erzählt, was für eine niedliche Schnecke sie ist. Was hält dich davon ab, ihre Beine zu spreizen und Nägel mit Köpfen zu machen?«
    »Das FBI ist hier, Jeremy«, zischte ich, ohne die Lippen zu bewegen. »Sie beobachten uns.«
    Er erstarrte. »Wie bitte? Wo?«
    »Ganz hinten auf dem Parkplatz. Sieh nicht hin. Gib mir die Hand und tu so, als wären wir entfernte Bekannte.«
    Wir begrüßten uns mit Handschlag und Jeremy ging von seinem ganzen Gebaren her auf Distanz. »Vielleicht sollte ich lieber verschwinden«, meinte er und lächelte verkniffen.
    »Dann fragen sie, wer du bist und warum du dich vom Acker gemacht hast, ohne dem guten alten Sonny deine Aufwartung zu machen.«
    Gemeinsam betraten wir die Kirche. Cherry konnte ich nirgendwo entdecken. Wahrscheinlich war sie durch eine der Seitentüren oder den Hinterausgang verschwunden, um sich dort einen Überblick zu verschaffen. Ich schaute mich in dem Gotteshaus um. Auf einem Tisch neben dem Sarg stand eine Collage von dreißig, vierzig willkürlich zusammengestellten Fotos. Auf den Bildern hatte Sonny Burton ein quadratisches Gesicht, rote Wangen und eine breite Stirn. Sein lockiges Haar war mit Pomade nach hinten gekämmt. Auf den meisten Aufnahmen schien er sich der Tatsache, dass er gerade fotografiert wurde, bewusst zu sein. Immer grinste er bis über beide Ohren und hatte eine große, breite Hand auf die Schulter eines Freundes oder einer Bekannten gelegt. Offenbar war Sonny Burton ein glücklicher Mann gewesen, der das Leben genoss.
    Jeremy tauchte neben mir auf. Die anderen Trauergäste befanden sich im hinteren Teil der Kirche. »Puh«, meinte er mit Blick auf die Fotos. »Was für ein freudloses Wesen.«
    »Freudlos?«, flüsterte ich. »Reden wir vom selben Typen?«
    »Du musst lernen, auf die Details zu achten, Carson. Vergiss mal die weißen Zähne. Blende die Lachfältchen und die hochgezogenen Mundwinkel aus.«
    Mein Bruder legte die Hände auf eins von den größeren Fotos und bedeckte so viel von Burtons Gesicht, wie ihm möglich war. Als nur noch die Augen zu sehen waren, wirkte Burton, der mich durch die Finger meines Bruders anstarrte, wie ein Mann, der durch Gefängnisstäbe späht.
    »Heiliges Kanonenrohr«, staunte ich. »Wenn das nicht Hass ist, was dann?«
    Als mein Bruder die Hände herunternahm, erschien wieder das Bild eines glücklichen Menschen. Mir kam es vor, als betrachte ich ein Palimpsest, auf dem sich eins von Hieronymus Boschs alptraumhaften Bildern unter einer Landschaft von Thomas Cole verbirgt.
    »Die Augen machen fünf Prozent aus, Carson. Die anderen fünfundneunzig Prozent hatte Burton so weit im Griff, dass er seiner Umwelt vorspielen konnte, glücklich zu sein. Wer so etwas in frühster Kindheit lernt, ist meistens sehr überzeugend.«
    Mein Bruder tippte auf ein Foto, das auf einer Geburtstagsfeier gemacht worden war. Darauf umarmte Burton einen schlaksigen, feingliedrigen Jungen mit sanften Augen, auf dessen Kopf ein lustiges Partyhütchen thronte. Er trug eine Zahnspange und grinste. Burton presste die Hände auf den Körper des Jungen, bohrte die Finger

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