Krank (German Edition)
lassen.«
»Ich könnte mir denken, dass Krenkler von diesem Vorschlag nicht gerade begeistert war.«
»Lange Rede, kurzer Sinn: Das FBI überging die Polizei vor Ort und umstellte Taitherings Haus. Krenkler hat ein paar Minuten lang durchs Megaphon gebrüllt, Blendgranaten und Tränengas eingesetzt und das Haus gestürmt.«
»Und Taithering?«
»Sein Körper baumelte an einem Kellerbalken. Er hatte sich an einem Stromkabel aufgehängt. An dem Balken wurde auch eine alte Wäscheleine gefunden, die zur Schlinge gebunden und gerissen war.«
Während ich die Einzelteile im Kopf zusammensetzte, wurde mir klamm ums Herz.
»Ja«, pflichtete Cherry dem Entsetzen bei, das mir ins Gesicht geschrieben stand. »Der erste Selbstmordversuch dieses traurigen kleinen Mannes scheiterte, weil das billige Seil gerissen ist. So musste er sich mit dem Rasenmäherkabel behelfen.«
Cherry musterte mich mit feuchten Augen. Wie gern hätte ich sie in die Arme genommen und ihr versichert, dass sie keine Schuld trug, dass das Schicksal dieses bemitleidenswerten und gebrochenen Mannes bereits vor zwanzig Jahren in einem Imbisswagen besiegelt worden war. Nur eine Person war verantwortlich für die tragischen Ereignisse, Sonny Burton, dieses breit grinsende und grausame Monster. Am liebsten hätte ich Donna Cherry an einen ruhigen Ort gebracht, sie an mich gedrückt und ihren Herzschlag gespürt.
Doch eine innere Stimme rief mich zur Vernunft und warnte mich, nicht meinem Naturell zu folgen und die Trauer eines Menschen auszunutzen, nur damit ich mich besser fühlte.
Also verabschiedete ich mich von Cherry, verlieh meiner Hoffnung, sie bald wiederzusehen, Ausdruck und ging von dannen, ohne mich noch mal umzudrehen.
Kapitel 25
Ich brachte Mix-up in die Hütte und trottete anschließend widerwillig zu Jeremy hinüber. Inzwischen war es dunkel geworden, und am Himmel stand ein leuchtender Vollmond. Ich klopfte an und trat ein. Im Erdgeschoss brannten anstelle von elektrischem Licht nur Jeremys heißgeliebte weiße Tafelkerzen. Schon vor vielen Jahren hatte ich erkannt, wie sehr Kerzenschein den schnell dahinjagenden Schatten und dunklen Winkeln in Jeremys Seele entsprach, denn in seinem weichen Licht wirkte alles surreal und unwirklich.
Jeremy saß im Halbdunkel auf einem Stuhl in der Ecke. Er trug wieder sein Gärtneroutfit, das aus einem weißen Hemd, dunklen Levi’s und einer knielangen Gärtnerschürze bestand.
»Taithering ist tot«, sagte er.
Ich nickte.
»Erzähl mir, was passiert ist.« Jeremys Stimme, in der Bedauern, Rage oder gar beides mitschwangen, war kaum mehr als ein stockendes Flüstern. In Windeseile schilderte ich ihm, was ich von Cherry wusste. Mein Bruder stand auf, ging zu einer Kerze, die auf dem Tisch stand, und beugte sich hinunter, um sie auszublasen, als wäre es ihm auf einmal viel zu hell in dem Raum.
»Weshalb hat Taithering sich das Leben genommen, Jeremy?«, wollte ich von ihm wissen. »Aus Scham?«
»William wurde nicht die ganze Erlösung zuteil, Carson.«
»Aber genau deswegen hat er Burton doch mit dem Baseballschläger bearbeitet. Gefahr, Vernichtung, Bloßstellung. Auf diese Weise wollte er – sinnbildlich gesprochen – die Oberhand gewinnen. Das waren deine Worte.«
Jeremy stellte sich vor die nächste Kerze auf der Theke zwischen Wohnraum und Küche, erstickte die Flamme mit angefeuchteten Fingerspitzen, ging ein paar Schritte weiter und löschte die nächste.
»Ich sagte, dass dies der Auslöser war. Sein Ziel hat er leider nicht erreicht. Taithering hielt sich für unbedeutend, Carson. Ein unbedeutender Mensch kann nicht beurteilen, ob seine ganz persönlichen Symbole stark genug sind, um die Vergangenheit auszulöschen. Und obwohl er jeden einzelnen Schritt seines Rituals korrekt ausgeführt hat – die Gefahr auf sich genommen hat, entdeckt zu werden, die Verwüstung des Gesichts, die öffentliche Bloßstellung –, fehlte das letzte Glied in der Kette.«
Jeremy löschte die vierte und fünfte Kerze, die auf einem Regal neben der Treppe brannten. Nun spendete nur noch die flackernde Flamme auf dem Tisch neben meinen Füßen Licht. Jeremy verschwand in den Schatten. Draußen im dunklen Wald riefen sich Streifenkäuze gegenseitig Botschaften zu.
»Verdammt, welches Glied soll das gewesen sein?«, fragte ich.
»Die Anerkennung einer höheren Autorität.«
»Reden wir hier von Gott?«
»Nein, ich meine jemanden, der sich mit so etwas auskennt.« Er streckte die Hand aus und
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