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Krank (German Edition)

Krank (German Edition)

Titel: Krank (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerley
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William Taithering auf einem dysfunktionalen Terrain und tauschte sich mit ihm über Bilder und Symbole aus, die normalen Menschen fremd waren.
    Als Jeremy uns zehn Minuten später wieder hereinrief, stand er hinter Taithering und hatte die Hände auf dessen Schultern gelegt. Taithering machte den Eindruck, als wollte er am liebsten weglaufen oder in Tränen ausbrechen.
    »William hat Ihnen etwas zu sagen, Miss Cherie«, verkündete mein Bruder. Sein Blick und seine Stimme sagten: Sachte !
    Cherry, die seine Botschaft verstand, zog ihren Stuhl aus der Mitte und platzierte ihn seitlich wie bei einer lockeren Unterhaltung. »Erzählen Sie uns von Sonny Burton, William«, bat sie. »Und von gestern. Lassen Sie sich Zeit.«
    Taitherings Miene verdüsterte sich. »Jeden … Tag … hat er …« Der Mann brauchte mehrere Anläufe, bis er fortfahren konnte. »Die letzten zwanzig Jahre war er … Burton … Tag für Tag in mir. Wenn ich aufwachte, war er da … wenn ich Luft holte. Ich spürte ganz deutlich, wie er sich in jeder meiner Zellen eingenistet hatte.«
    »Sie waren in Burtons Imbisswagen, nicht wahr, William?«, meinte Jeremy mit samtweicher Stimme. »Und dort ist etwas passiert. Dort hat etwas seinen Anfang genommen.«
    »Er hat sich in mich gezwängt. Sich dort festgesetzt. Und ich konnte ihn nicht abschütteln. Obwohl ich weggezogen bin, war er in mir. Ich bin aufs College gegangen, und er war in mir. Seit Jahren wohne ich jetzt in Augusta, und trotzdem liegt er immer auf mir, fährt mit seinen Fingern durch meine Haare, steckt seine Zunge in meinen … Alles habe ich versucht und KONNTE IHN DOCH NICHT LOSWERDEN !«
    »Beruhigen Sie sich, William«, flüsterte Jeremy. »Über gestern haben Sie lange nachgedacht, nicht wahr?«
    Taithering reckte trotzig das Kinn. »Jetzt bin ich FREI . Zum ersten Mal. Ich habe sein Gesicht ausradiert. Ich habe IHN aus MIR vertrieben.«
    »Aber Sonny Burton war tot, Mr. Taithering«, gab Cherry zu bedenken.
    » TROTZDEM WAR ER IMMER NOCH IN MIR !«
    Taithering begann, unkontrolliert zu weinen. Ein plötzlicher Anfall von Klaustrophobie trieb mich aus dem Wohnzimmer in den Garten hinter dem Haus. Dort hob ich einen Stapel angesengter Fotos auf, die ich längere Zeit betrachtete, ehe ich ins Wohnzimmer zurückkehrte.
    Cherry stand in der Küche. Eine Toilettenspülung gluckerte. Mein Bruder kam aus dem Badezimmer, schlenderte den Flur hinunter und blieb bei uns stehen. Taithering vergoss immer noch Tränen. Jeremy und Cherry hielten sich abseits, um ihn in Ruhe trauern zu lassen, während ich die Fotos auf dem billigen Küchentisch ausbreitete.
    »Was wollte Taithering verbrennen?«, fragte Cherry.
    »Jugendfotos.« Ich tippte auf eine Aufnahme, die große Ähnlichkeit mit einem Bild hatte, das mir bei der Aufbahrung aufgefallen war. Auf diesem Abzug hatte Sonny Burton den Arm um einen schlaksigen Teenager mit schüchternem Lächeln und Zahnspange gelegt. Die Szenen auf den anderen Fotos unterschieden sich nur unwesentlich: Burton klebte an Taithering, lächelte ihn an, befingerte ihn. Manchmal waren im Hintergrund noch andere Jugendliche zu erkennen. Auf einem Foto standen die beiden in Badehosen am Beckenrand und der grinsende Burton, damals Anfang dreißig und der Inbegriff des gutgelaunten und arglosen Leiters eines Jugendcamps, drückte seinen halb erigierten Penis, der sich unter dem dünnen Stoff abzeichnete, an Taitherings Hinterteil.
    Mit aschfahler Miene wandte Cherry sich an meinen Bruder. »Ich verstehe das nicht. Burton war schon tot. Wie kann man sich denn an einem Toten rächen?«
    »Ob Burton lebt oder tot ist, macht keinen Unterschied. Wie er da so in seinem Sarg lag, symbolisierte er gleichzeitig mehrere Dinge. Mr. Taithering, der jahrelang gelitten und sich Vergeltungsmaßnahmen ausgedacht hatte, ist in die Kirche gekommen, um diese Metaphern ein für alle Mal auszulöschen.«
    »Die Fotos haben doch auch symbolischen Wert, Dr. Charpentier, wieso hat Taithering sie erst jetzt verbrannt? Warum nicht schon eher?«
    »Dazu war er nicht in der Lage, Detective Cherie. Solange Burton in ihm war, hatte er auch die Kontrolle über die Fotos. Sie gehörten Taithering nicht, weil er sich selbst nicht gehörte.«
    »Das ergibt keinen Sinn.«
    »Für einen Menschen wie William Taithering, dessen Leben von derlei Erinnerungen und Ereignissen geprägt ist, schon. Nachdem er so viele Jahre Sonny Burton gehörte, bediente William Taithering sich ganz unbewusst eines

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