Krank (German Edition)
ich mitten auf der Straße, schlug mit dem Holzlöffel auf den Fressnapf und rief Mix-ups Namen. Die Leute, die an mir vorbeifuhren, hielten mich garantiert für durchgeknallt, doch das kümmerte mich nicht.
Nach zwei Stunden stellte ich resigniert die Suche ein und kam auf der Rückfahrt an Jeremys Unterkunft vorbei. Obwohl ich mich schon von ihm verabschiedet hatte, beschloss ich, kurz bei ihm vorbeizuschauen.
»Du bist immer noch da?«, fragte er mich und unterdrückte ein Gähnen.
»Mein Hund ist weg. Hast du ihn gesehen?«
Er rümpfte die Nase. »Gestern und heute nicht, aber vor zwei Tagen lag dein stinkender Köter auf meiner Veranda. Ich war kurz davor, Gift auszulegen, konnte mich aber gerade noch beherrschen, um dich nicht aufzuregen.«
Ich starrte ihn entgeistert an.
»Wolltest du nicht abreisen?«, fragte er ungeduldig, als hielte ich ihn von etwas Wichtigem ab.
»Mein Hund ist hier irgendwo, Jeremy. Bestimmt hat er sich verlaufen.«
»Der Hund hält dich davon ab, nach Hause zu fahren?«
»Ich muss ihn unbedingt finden.«
Mein Bruder warf mir einen Blick zu, als spräche ich auf einmal Gälisch. »Hast du mir nicht erzählt, du hättest für den Köter nur zehn Dollar hingeblättert?«
Da die Leute aus dem Tierheim überglücklich gewesen waren, dass Mix-up nicht eingeschläfert werden musste, hatten sie mir die Vermittlungsgebühr erlassen. Die einzige Ausgabe, die mein Vierbeiner verursachte, war die jährliche Hundesteuer. Und das Futter.
»Fünf«, korrigierte ich ihn.
Er überlegte kurz. »Fünf Mäuse für hundert Pfund Hund? Vielleicht sollte ich in Zukunft im Tierheim einkaufen. Kann man die Viecher essen?«
Ich steckte die Hände in die Hosentaschen, damit ich meinem Bruder nicht die Zähne einschlug, und trollte mich.
*
Bei meiner Rückkehr war Mix-up immer noch nicht aufgetaucht. Ich lauschte in die Wildnis, konnte jedoch nur die durch den Wald streifenden Kojoten hören. Wie die meisten Amerikaner unter vierzig hatte ich mein Laptop eingesteckt, da der Gedanke, nicht ins Netz gehen zu können, mir unerträglich war, und wie die meisten Hundebesitzer besaß ich mehr Fotos von meinem Vierbeiner, als ich zählen konnte: Mix-up bei seinem ersten Bad, bei seinem ersten Schwimmversuch im Golf, mit seinem ersten Steak, das ich ihm spendierte. Innerhalb einer Viertelstunde hatte ich ein Vermisstenposter samt Fotos, detaillierter Beschreibung und meiner Handynummer zusammengestellt. Ich beschloss, einen Finderlohn in Höhe von hundert Dollar auszusetzen, doch dann fielen mir die Kojoten ein und ich erhöhte die Summe auf fünfhundert Dollar.
Ich stieg in meinen Pick-up, fuhr in die nächste Bibliothek, fertigte Kopien von dem Poster an und verteilte sie an Tankstellen und in Restaurants, wo viel Publikumsverkehr herrschte. Danach pflasterte ich Telefonmasten, Anschlagtafeln an Ausgangspunkten von Wanderwegen und Pinnwände zu, auf denen Kletterer Nachrichten hinterließen.
Zu guter Letzt kam ich zufällig am Polizeirevier von Woslee County vorbei. Ich gab mir einen Ruck, kehrte um und informierte die Empfangsdame, dass ich ein Anliegen hatte. Hoffentlich verwies sie mich an Caudill, aber bei meinem Pech landete ich garantiert bei Beale.
»Der Sheriff telefoniert gerade«, informierte mich die junge Frau, die gerade ihre Nägel feilte. »Er möchte, dass Sie warten.«
Zum Zeitvertreib schaute ich mir die Fotos von ehemaligen Vorgesetzten an, wie man sie in Dienststellen immer findet. Fünf Aufnahmen zierten die Wand. Bis 1947 war ein Schnauzbartträger hier Sheriff gewesen. Ihm folgte ein ausgemergelter Typ mit toten Augen, der 1967 in Rente gegangen war. Sein Nachfolger war wiederum ein Mann mit kantigem Kinn, der die Position bis vor sechs Monaten innegehabt hatte. Die Namen unter den letzten beiden Fotos lauteten Earl Gaines Beale und Roy Stimple Beale – Großvater und Vater des derzeitigen Sheriffs.
Laut McCoy waren die beiden sture und humorlose Männer gewesen, die – gemäß den damaligen Gepflogenheiten – Feinde hart bestraften, Freunde belohnten und ihren eher mäßigen Verdienst aufbesserten, indem sie ein Auge zudrückten, wenn Schwarzbrenner oder andere Ganoven ihnen einen entsprechend dicken Umschlag zusteckten.
In ihren Mienen konnte man beim besten Willen keine Spur von Humor oder Integrität erkennen. Beide besaßen mehr Ähnlichkeit mit Ike Clantons Handlangern als mit Eliot Ness’ Leuten.
Das Telefon auf dem Empfangspult läutete. Als die junge Frau
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