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Krank (German Edition)

Krank (German Edition)

Titel: Krank (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerley
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schwarze Loch von Seele fallen, das mein Bruder sein Eigen nannte.
    »Ja, das sollte ich heute noch erledigen«, pflichtete ich ihr bei, »wenn ich bei Morgengrauen nach Mobile aufbrechen will.«

Kapitel 26
    Wir fuhren auf Straßen, die zunehmend schmaler wurden, und landeten schließlich auf dem verwitterten schmalen Asphaltstreifen, der an jenem Bach endete, wo man Tandee Powers Leichnam gefunden hatte. Cherry und ich machten uns nichts vor: Dieser Abstecher würde uns keinen Schritt weiterbringen. Auf der anderen Seite gab es bei jeder Ermittlung Dinge, die einfach erledigt werden mussten, damit man sie abhaken konnte.
    »Weit und breit das einzige Haus«, sagte Cherry und ging in einer Kurve vom Gas. »Lassen Sie mich mal nachsehen, ob die alte Dame daheim ist.«
    Neben dem kleinen, windschiefen Häuschen blitzte der riesige silberne Propangasbehälter in der Sonne, und an den Ahornbäumen schaukelten die Vogelhäuschen in einer leichten Brise hin und her. Auf der Veranda stand ein Schaukelstuhl. Während wir im Schneckentempo auf die Zufahrt rollten, meinte ich, hinter dem Vorhang eine Bewegung wahrzunehmen. Hatte die Bewohnerin uns kommen gehört?
    »Warten Sie im Wagen«, bat Cherry. »Manche Leute leben so weit draußen, weil sie sich vor anderen Menschen fürchten oder etwas gegen Fremde haben.«
    Ich tat so, als wäre ich tief bestürzt. »Bin ich für Sie ein Fremder?«
    »Sitzen bleiben, Cowboy.« Ich wartete geduldig, während Cherry auf die Haustür zuhielt und anklopfte. Sollte ich eine fröhliche Miene aufsetzen, damit ich weniger bedrohlich und fremdartig wirkte?
    Die Eingangstür wurde geöffnet. Cherry unterhielt sich ein paar Minuten mit jemandem, den ich nicht sehen konnte. Was sie sagte, verstand ich nicht, aber mir fiel auf, dass sie sich wie ein Durchreisender verhielt, der die neusten Nachrichten in eine entlegene Siedlung brachte. Cherrys Dialekt, dessen Färbung in meinen Ohren inzwischen nicht mehr exotisch, sondern interessant klang, wies sie unmissverständlich als Mitglied dieses eigenwilligen Menschenschlages aus, was in einer Kultur, wo man Fremden von jeher und meist aus gutem Grund mit großer Skepsis begegnete, sicherlich ein Pluspunkt war.
    Cherry kehrte zum Wagen zurück und forderte mich auf, sie zum Haus zu begleiten. Auf dem Weg dorthin legte sie mir die Hand auf die Schulter und wich mir nicht von der Seite. So nah war sie mir noch nie gewesen. Mit ihrem Verhalten wollte sie Miss Bascomb wohl zeigen, dass sie mir vertraute und die alte Lady sich nicht vor mir zu fürchten brauchte.
    Leona Bascomb, ein winziges Persönchen mit Brillengläsern so dick wie Flaschenböden und nur einer Handvoll Zähnen, konnte ihr Alter nicht verhehlen. Das volle graue Haar reichte ihr bis zur Taille, und sie trug ein ausgeblichenes Baumwollkleid und darüber eine gestärkte weiße Schürze. Ihre knotigen braunen Hände schienen nur aus Knöcheln zu bestehen.
    Ihr spärliches Wohnzimmermobiliar bestand aus einem Schaukelstuhl, einem kleinen Sofa und zwei Klapptischen. Die Wände hingegen waren mit unzähligen, grellbunt bemalten Papierbögen übersät. Manche Farben waren ungleichmäßig aufgetragen, andere flossen harmonisch ineinander. Ein paar von den Bildern erinnerten an Kandinsky und Chagall. An die hundert Werke von einer atemberaubenden Vielfalt zierten die Wände.
    »Miss Bascomb, diese Arbeiten sind wirklich umwerfend«, verlieh ich meiner Bewunderung Ausdruck.
    »Das sind meine Vögel«, erklärte sie.
    »Vögel?«
    Meine Frage brachte sie augenscheinlich in Verlegenheit. »Ich weiß, sie sehen nicht wie Vögel aus, aber dafür kann ich nichts. Jedes Mal, wenn ich versuche, einen Vogel so zu malen, wie Gott ihn geschaffen hat, sieht das komisch aus. Und weil ich wegen meiner schlechten Augen die Details eh nicht sehe, habe ich angefangen, sie so zu malen, wie sie klingen.«
    Ich konzentriere mich wieder auf die Wände, und nach und nach erkannte ich die Koloratur, den Rhythmus der Farben, die Schattierung der einzelnen Noten, die zur nächsten überleiteten oder langsam verklangen wie ein leises Trällern, das vom Wind weggetragen wurde. Auf einem besonders fesselnden Bild war ein dreifarbiger Bogen zu sehen: ein blauer Strich, der sich purpurrot färbte und in mehrere wabernde Linien zerfiel, die dann wieder die ursprüngliche Farbe annahmen. Der kohlrabenschwarze Hintergrund, gleich einem Nachthimmel, beruhigte das Bild. Diese Farben hatte ich erst vor kurzem gehört.
    »Das

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