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Krank (German Edition)

Krank (German Edition)

Titel: Krank (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerley
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einen brilletragenden Versuchsleiter, der eine Tüte Marshmallows in der Hand hielt und mit einem Kind sprach, das auf einer Schulbank saß.
    »Die Stanford-Studie, die Walter Mischel durchführte«, sagte ich und fragte mich, was sie mit Bobby Lee Crayline zu tun hatte. »Der Versuchsleiter stellte die kleinen Kinder vor eine Wahl: Sie konnten einen Marshmallow sofort bekommen oder fünfzehn Minuten lag warten und dafür zwei kriegen.«
    »Ging es bei diesem Experiment um Geduld?«, fragte Krenkler. »Oder etwa um Selbstbeherrschung? Die meisten Kinder wollten ihre Leckerei bestimmt sofort, oder?«
    »Eigentlich wollte man die Vernunft von Kindern testen«, erklärte ich. »Man hat eine Situation geschaffen, in der sie mit folgender Wahl konfrontiert waren: sofortige Bedürfnisbefriedigung oder das Warten auf eine größere Belohnung. Ein paar haben die Augen geschlossen oder woanders hingeschaut, andere sangen oder spielten mit ihren Fingern. Was hat das mit Crayline zu tun?«
    Krenkler überflog die auf ihrem Schoß liegende Akte. »In den Achtzigern haben die Teilnehmer eines Psychologieseminars von der University of Alabama diesen Test mit Kindern aus dem Talladega Mountains durchgeführt. Crayline gehörte zu den Probanden. Vermutlich hatten seine Eltern davon Wind gekriegt, dass die Probanden eine Aufwandsentschädigung erhielten, und wollten sich mit ihrem Jungen etwas dazuverdienen.«
    Ich stellte mir vor, wie sich ein dürrer, unterernährter Bobby Lee wie ein Habicht auf die Süßigkeiten stürzte und sie gierig und mit ungewaschenen Händen in den Mund stopfte. »Liege ich richtig mit der Annahme, dass Bobby Lee über den Marshmallow und die Hand des Versuchsleiters hergefallen ist?«
    »Hören Sie sich das an, Ryder: Als der Versuchsleiter Crayline einen Marshmallow sofort oder zwei in einer Viertelstunde anbot, hob der Junge den Kopf und fragte, was er kriege, wenn er bis zum nächsten Tag warte.«
    »Wie bitte?«
    »Der Versuchsleiter versprach Bobby Lee zwölf Marshmallows, wenn er drei Stunden durchhielte.«
    »Crayline hat drei Stunden auf seine Belohnung gewartet?« Es war unglaublich.
    »Die Kinder wurden durch einen Einwegspiegel beobachtet. Kaum hatte der Versuchsleiter den Raum verlassen, schloss Crayline die Augen und rührte sich drei Stunden lang nicht.«
    »Jesus.«
    »Der Professor sagte, so etwas hätte er noch nie erlebt. Gut möglich, dass sie die Testdauer sogar noch verlängert hätten, aber der kleine Bobby lehrte sie das Fürchten.«
    Vor meinem geistigen Auge erschien Bobby Lee Crayline, der mit den Süßigkeiten in Reichweite reglos am Tisch saß. Dass er sich so gut beherrschen konnte, ließ mich ihn in einem ganz anderen Licht sehen.
    »Crayline besaß entweder enorme Willenskraft und Selbstbeherrschung …« Krenkler brach ab und wartete, dass ich den Satz für sie beendete.
    »… Oder er war in der Lage, so stark in Tagträumen zu versinken, dass er jegliches Zeitgefühl verlor.«
    »Ist das nicht irre?«, fragte Krenkler. »Wie auch immer, ich dachte, das würde Sie interessieren.«
    Ich war mir nicht sicher, ob Krenkler wirklich wollte, dass ich derlei Dinge über Crayline erfuhr, oder ob sie mir nur demonstrierte, wie tief das FBI schürfte. Vielleicht beabsichtigte sie auch, mir zu verklickern, dass ich zwar ein kleines Scherflein zur Lösung des Falls beigetragen hatte, im Gegensatz zum FBI jedoch lediglich ein kleines Lichtlein war.
    Falls ja, wen kümmerte das?
    Ihr Fahrer startete den Motor und brauste mit Vollgas davon. Steifbeinig ging ich in meine Hütte, rief vergebens mehrere Tierheime an und legte mich schließlich schlafen.

Kapitel 38
    Um vier Uhr nachmittags wachte ich auf, telefonierte mit Cherry und fragte sie, was sie jetzt vorhatte, nachdem Bobby Lee Crayline wie ein Hurrikan an ihrem Blockhaus vorbeigezogen war. Einerseits war ihr Grundstück ziemlich verwüstet, andererseits war der Fall abgeschlossen, und sie hatte nun genug Zeit, die Ärmel hochzukrempeln und sich ans Aufräumen zu machen.
    »Krenkler hat mich dazu verdonnert, Craylines Vergangenheit zu durchforsten«, sagte sie. »Sie will erfahren, in welcher Verbindung er zu den anderen Opfern gestanden hat.«
    »Wo fangen Sie an?«
    »Hier. Ich taue gerade ein paar Steaks auf.«
    »Hä?«
    »Und ich habe ein paar riesengroße Kartoffeln besorgt. Zwei, um ehrlich zu sein. Kennen Sie womöglich jemanden, der hungrig ist?«
    Der Anblick von Cherrys Haus und den Reifenspuren, die Craylines fahrbarer

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