Krank (German Edition)
Untersatz auf ihrem Rasen hinterlassen hatte und die vor dem Abgrund endeten, war verstörend. Mein Blick fiel auf den Baum, mit dem ich zusammengeprallt war. Das Manöver hatte mich einen meiner vorderen Kotflügel gekostet, und obwohl mein Pick-up ziemlich ramponiert aussah, erwies er sich als treuer Gefährte, der sich problemlos starten ließ.
Cherry kam auf die Veranda und begrüßte mich.
»Toll, dass Sie diesmal allein und in Klamotten auftauchen. Wie ist es um Ihren Appetit bestellt?«
Ich spürte, wie mir der Magen knurrte, und folgte ihr ins Haus. Dort genehmigten wir uns jeder ein Bier und aßen riesige Steaks, Backkartoffeln mit Butter, Sour Cream und gerösteten Speckwürfeln. Zwanzig Minuten später hatte ich meinen Cholesterinbedarf für die kommenden sechs Monate gedeckt.
Nach dem Essen begaben wir uns ins Wohnzimmer, wo die Fenster sperrangelweit offen standen. Der Regen, der mir vergangene Nacht das Leben schwergemacht hatte, entschädigte mich dadurch, dass er den Rasen und die Blätter der Bäume saftig grün und die Luft angenehm frisch hinterlassen hatte.
»Ich muss heute noch etwas erledigen, Carson«, meinte Cherry. »Wenn ich Krenkler die nötigen Infos besorge, wird sie hoffentlich nach Washington zurückkehren. Jetzt, wo die Bedrohung weg ist, gibt es schließlich keinen Nervenkitzel mehr.«
Sie zog eine Leinentasche unter der Schaukel hervor und schüttete sie aus. Eine Handvoll DVD -Hüllen fiel auf den kleinen Tisch. Sie waren mit bunten Fotos, Zeichnungen und Titeln bedruckt, darunter XFL Championship III: The Battle in Seattle und XFL Highlights: Blood in the Cage .
»Aus einem Videoverleih in Winchester«, klärte Cherry mich auf. »Da ich rein gar nichts über diesen Crayline weiß, will ich ihn mal in Aktion sehen. Seine Stimme hören. Mir das Publikum ansehen. Finden Sie das seltsam?«
»Nein, ganz im Gegenteil.« Genau so funktionierte ich auch: Ich trug alle Infos zusammen, deren ich habhaft werden konnte, und machte mich auf diese Weise mit dem Gegner vertraut. Cherrys Täter war zwar tot, doch mit Gewissenhaftigkeit oder Glück oder – wie ich aus eigener Erfahrung wusste – ein bisschen von beidem konnte sie das Rätsel trotzdem noch lösen.
Gemeinsam schauten wir uns sechs von den sieben DVD s an, die Cherry ausgeliehen hatte. Die Aufnahmen stammten aus jener Zeit, in der Craylines Stern am XFL -Himmel bereits hell leuchtete. Erst sein Erfolg rechtfertigte eine eigene DVD -Reihe. Die Kämpfe gewann er ausschließlich deshalb, weil seine Gewaltbereitschaft keine Grenzen kannte. Und selbst wenn er von seinem Gegner schwer geschlagen, getreten und herumgeschleudert wurde, holte er zum Gegenschlag aus, als stachele ihn der Schmerz erst recht an. Oder war der Schmerz für ihn nur eine flüchtige Empfindung wie ein Anflug von Hunger oder die vage Erinnerung an einen ehemaligen Bekannten?
Was auch immer er tat, seine Miene verriet unbändigen Zorn, und diese Wut saß tief und wirkte verstörend. Ein einziges Mal sah Crayline beinah glücklich aus. Er stand neben einem schmuckbehangenen Mann in einem Armani-Anzug mit der Figur eines Bodybuilders, den er gleich zweimal nach dem gewonnen Kampf umarmte.
»Kennen Sie diesen Kerl?«, fragte ich Cherry.
»Das ist Mickey Prince. Ihm gehört die XFL , und auf seinem Gebiet ist er so etwas wie ein Pionier. Er fährt darauf ab, fotografiert zu werden und in Blättern wie dem People Magazine zu erscheinen. Hat beachtliche Schultern und ein noch beachtlicheres Mundwerk.«
Cherry griff nach unten, hob die letzte DVD auf und warf sie mir zu. Auf der Hülle prangte in riesigen Lettern XFL World Championship XII: River of Blood – der einzige Titelkampf, den Crayline je verloren hatte.
Sie spulte bis zu der Stelle vor, an der der Ringrichter die Kontrahenten im Käfig vorstellte: Bobby Lee Crayline und Jesse Mad Dog Stone.
Stone maß knapp einen Meter achtzig und war für einen XFL -Kämpfer nicht besonders groß, doch seine Statur erinnerte an eins von diesen anatomischen Bildern, die in Arztpraxen hängen. Trotz der Blumenkohlohren und der mehrmals gebrochenen, platten Nase wirkte sein quadratisches Gesicht jünger als sein Körper.
Der Gong ertönte. Stone und Crayline tanzten umeinander herum, verpassten einander Schläge, traten mit den Füßen zu und taxierten sich gegenseitig. Crayline versuchte, ein paar harte Schläge zu platzieren, die Stone mit dem Unterarm abwehrte. Danach holte Stone zum Gegenschlag aus und traf
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