Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
Einzelnen basiert. Aus ökonomischen Motiven heraus bleibt vom Berufsethos der Heilenden und Helfenden, allein dem Wohl ihrer Patienten zu dienen, letztlich nichts mehr übrig. Patienten werden nur gut versorgt, wenn sie sich die Leistungen finanziell leisten können, ganz unabhängig davon, ob sie krankenversichert sind oder nicht.
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26. Ende offen
Wie man gegen das Volk regiert
W enn Sie dieses Buch aufmerksam gelesen haben, werden Sie immer wieder eine Feststellung treffen: Was im deutschen Gesundheitswesen passiert, geschieht gegen den Willen des Volkes wie der unmittelbar Betroffenen. Sie finden keinen Arzt, es sei denn, er ist gleichzeitig Lobbyist oder Wirtschaftsfunktionär, der nicht die strukturellen Maßnahmen von Politik, Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen ablehnt. Ärzte halten das, was da in Berlin (teilweise ohne eigentlich demokratische Legitimation) veranstaltet und entschieden wird, für eine konzertierte Aktion gegen sie, die Patienten und das Grundgesetz. Ärzte sprechen von Enteignung ihrer Praxen und halten Politiker für gesteuerte Marionetten der Gesundheitsindustrie. Gesetzlich versicherte Patienten erhalten immer weniger Leistung für immer mehr Geld. Kirchen und Sozialverbände diagnostizieren einen spürbaren Abbau von Humanität; alles geht zu Lasten der Schwachen und Wehrlosen. Während den Besserverdienenden jede Medizin zur Verfügung steht, werden sozial Schwache abgefertigt. Immer ärmer sind diejenigen dran, die aus Idealismus einen Pflegeberuf gewählt haben. Sie werden ausgepowert ohne Ende und immer mieser entlohnt. In Deutschland wird mit irrationaler Gewalt eine Medizin gegen das Volk installiert. Es wird gegen das Volk regiert.
Gegen das Volk regiert man am besten dann, wenn das Volk Fußball schaut. So geschehen am Freitag, den 18. Juni 2010. Was war denn da? Na, das Serbienspiel. Vergessen Sie das Serbienspiel! An diesem Freitag wurde unser Gesundheitssystem umgebaut. Haben Sie was davon gemerkt? Nein. War ja auch Fußball. Während Lukas Podolski einen Elfmeter verhagelte, versäbelte die schwarzblaugelbe Regierung das letzte Stück Vertrauen, das ich noch in sie hatte.
In zweiter und dritter Lesung wurde das »Änderungsgesetz für die gesetzlichen Krankenkassen« ( GKV ) beschlossen. Klingt so harmlos wie Seniorengolf. Ist aber spannender als jedes Fußballspiel. Es geht um die neuen Arzneimittelrichtlinien. Wie bei einem Omnibus mit Anhängevorrichtung (deshalb Omnibusgesetz), wurde hinten dran noch ein weiteres Gesetz gepackt: der sogenannte Online-Stammdatenabgleich, sprich: die Vorstufe zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte. Und dieses Huckepack-Teil wurde prompt von jenen Volksvertretern, die Deutschland gegen Serbien nicht doch als größere Priorität betrachteten, durchgewunken. Trickreich, dieses Einfügen des Gesetzestextes! Was für ein Spaß im Gesundheitsministerium, dass niemand im Land merkte, welch ein Eigentor insbesondere die FDP da hinlegte. Wenn sie nicht schon wüssten, wie man umfällt – Jogis Buben könnten es von der FDP lernen. Grandioser kann man nicht umkippen.
Vor der Bundestagswahl hatten FDP -Politiker Ärzte aufgesucht wie Katholiken den Wallfahrtsort. Die blaugelben Bundestagsabgeordneten hatten den Medizinern das Blaue vom Himmel versprochen. Von der Verteidigung der Freiheit hatten sie gesprochen, und dass man mit der FDP (nur mit ihr!) nie, nie, nie, ja niemals nie den »gläsernen Patienten« akzeptieren würde, wie ihn die elektronische Gesundheitskarte im Effekt letztlich herbeiführt. Und nun ist es ausgerechnet der blaugelbe Gesundheitsminister Philipp Rösler, der die Schwalbe im gegnerischen Strafraum hinlegt. Unfassbar!
Alle Fachleute, voran vier Deutsche Ärztetage, hatten die elektronische Gesundheitskarte verworfen – hatten sie als gefährlich, maßlos überteuert, datentechnisch unsicher, ja im Ganzen als kontraproduktiv und falsch beschrieben. Es gab Unterschriftenlisten, Stellungnahmen von Topfachleuten, Gegengutachten ohne Zahl. Durch diese Karte wird unser Gesundheitssystem generell zu einem totalen Kontroll- und Ausforschungssystem. Niemand wollte dieses monströse Plastikteilchen. Nur die dürstende Wirtschaftslobby und ihre Abhängigen in der Politik. Ja, die wollte es um alles in der Welt. Kann man ja auch verstehen. Es ist wie die Umleitung der Donau in die Wüste. Die elektronische Gesundheitskarte spült einigen Konzernen schätzungsweise 14 Milliarden Euro in die Kasse.
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