Kratzer im Lack
er allein sein.
Das Fenster seines Zimmers geht auf die Straße hinaus. Schwach beleuchtet vom Licht der Straßenlampe steht der Opel da, die weiße Grundierung sieht von hier oben nur wie ein schmaler Streifen aus, wie eine helle Narbe auf dunkler Haut.
Herbert lacht aufgeregt und glücklich.
Ich habe das gemacht, ich.
Und niemand weiß es.
Und alle reden davon.
Sogar die Polizei sucht mich.
Aber ich lasse mich nicht erwischen.
Unten geht die alte Kronawitter vorbei, mit ihrem komischen Köter. Jeden Abend geht sie um den Block. Herbert schiebt die Angst beiseite. Sie hat mich nicht gesehen.
Gut, dass sie mich nicht gesehen hat. Was würde mein Vater tun, wenn …
In seinem Bauch rumort es. Herbert rennt ins Badezimmer, setzt sich schnell aufs Klo, muss drücken, rausdrücken, die Angst rausdrücken. Ich scheiß auf dich, denkt er, weiß nicht, wen er damit meint, würde es aber am liebsten laut schreien.
Ich scheiß auf dich.
Das nächste Mal muss ich vorsichtiger sein.
Das nächste Mal?
Er geht in sein Bett, sein Bauch ist leer, ganz leer. Er macht das Licht aus und starrt mit offenen Augen an die Decke. Die Dunkelheit ist nie ganz dunkel, weil der Rollladen nicht mehr richtig schließt. Er sieht helle Flecke an der Decke, die zu konturlosen Busen verschwimmen, zu runden Hintern.
Der Kerl ist bei ihr. Er ist jetzt wieder da, im Schlafzimmer werden sie sein.
Butch legt der Frau den Arm um die Taille, zieht sie an sich und lässt seine Hand über ihren Rücken gleiten. Sie wehrt sich nicht, seine Hand rutscht tiefer, tastet über ihre üppigen Formen. Sie schmiegt sich fester an ihn. »Ich liebe dich«, flüstert sie ihm zu. »Du kannst mit mir machen, was du willst. Ich gehöre dir.«
Das Blut rauscht in Herberts Ohren, übertönt die Geräusche des Fernsehers, die aus dem Wohnzimmer herüberdringen. Lautes Kratzen, Metall auf Metall. Macht haben. Kaputtmachen können.
Er atmet laut. Fräulein Kaminski hat einen großen Busen. Und der Mann ist bei ihr. Der Mann legt Fräulein Kaminski den Arm um die Taille, zieht sie an sich und lässt seine Hand über ihren Rücken gleiten. Sie wehrt sich nicht. Seine Hand rutscht tiefer, tastet über ihre üppigen Formen. Sie schmiegt sich fester an ihn. Ich liebe dich, flüstert sie ihm zu. Du kannst mit mir machen, was du willst. Ich gehöre dir, Herbert.
Lange danach fällt er in einen unruhigen Schlaf, eine Art Dämmerzustand, aus dem er immer wieder hochschreckt. Der Mann ist bei Fräulein Kaminski.
Als er wirklich aufwacht, ist es erst drei Uhr. Jetzt wird der Mann weg sein. Die Mutter hat gesagt, er geht immer so um zwei herum.
Herbert zieht das Messer, das er jeden Abend vor dem Schlafengehen unter sein Kopfkissen legt, heraus und betastet es in der Dunkelheit. Es gibt ihm Ruhe und Kraft, selbst im Bett gibt es ihm Ruhe und Kraft. Zärtlich streichelt er den Horngriff, befühlt mit den Fingerspitzen die rissige Oberfläche und die Glätte der Metallbeschläge.
Er schläft ruhig ein.
Sogar in seinen Träumen macht ihn das Messer stark.
14.
Frau Kronawitter wartet darauf, dass Herbert in den Laden kommt. Mach keine Dummheiten, Junge, will sie ihm sagen. Mach dich nicht unglücklich.
Sie ist aufgeregt. Viel zu früh ist sie aufgestanden, hat sogar den Wastl, der noch zusammengerollt auf seiner Decke geschlafen hat, wachgeschubst, hat ihn und sich zur Eile getrieben und ist zum Laden gegangen. Sie ist so früh dran gewesen, dass noch kaum Kinder auf der Straße gewesen sind. Nur die Ursula hat sie getroffen, hat sich gewundert, wie groß die geworden ist, ein kräftiges Mädchen. Die geht jetzt in die Oberschule und muss wohl deswegen so früh aus dem Haus.
Sie blättert in der Zeitung, aber nicht lange. Sie kann nicht richtig lesen, weil sie so aufgeregt ist. Sie nimmt den schmalen, hohen Aluminiumtopf und lässt ihn voll Wasser laufen. Innen ist er schon ganz verkalkt, in vielen Schichten ziehen sich die Kalkringe vom Boden bis oben zum Rand, unten ganz weiß, gegen oben zu grauer, und ganz oben färbt nur noch ein heller Schleier das Metall. Sie stellt den Tauchsieder hinein. Ihre Finger sind nass geworden. Sie trocknet sie ab, bevor sie den Stecker in die Steckdose steckt. Immer noch macht sie alles so, wie Theo es ihr gesagt hat.
Ach Theo, es hätte anders sein können.
Sie starrt in den Topf. Die Kalkränder sehen unappetitlich aus, sie muss ihn unbedingt mal sauber machen.
Theo, denkt sie, so schlimm war es doch gar nicht. Mir kommt es im
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