Kratzer im Lack
wird vielleicht noch etwas aus ihm.«
Dann ist er ins Bett gegangen. Sie hat in der Küche gesessen und gewartet, bis der Schmid Manfred ihren Jungen wiedergebracht hat. Ludwig hat nichts gesagt, er hat nicht geweint, er hat sie abgewehrt, als sie ihn umarmen wollte.
Theo hat ihn selbst weggebracht nach Hergenried, gleich am nächsten Morgen. Sie hat sich widerspruchslos gefügt in diese Entscheidung, hat ihren Jungen, ihr Kind, verraten und ihn gehen lassen.
Die Tage sind lang gewesen in der Zeit danach. Sie hat nicht gewusst, wie sie sie hinbringen sollte, und nachts hat sie lange schlaflos im Bett gelegen. Dass Theo stirbt, hat sie sich damals gewünscht.
Gerda ist schon siebzehn gewesen, sie hat ihre Mutter nicht mehr gebraucht. Sie war schon verlobt mit dem Gerhard und zwei Jahre darauf hat sie ihn geheiratet und ist nach Frankfurt gezogen. Die Hochzeit haben sie aber noch in München gefeiert. Ludwig ist nach Hause gekommen, zum ersten Mal wieder, und sie hat nicht wegschauen können von ihm, hat sich nicht satt sehen können an ihm. Groß und stark war er geworden, fast ein Mann.
Aber er hat nicht viel erzählt, er hat kaum Antwort gegeben auf ihre Fragen.
»Ja, es geht mir gut. Der Onkel und die Tante sorgen gut für mich.«
»Ja, ich helfe auf dem Hof. Und im Herbst fang ich meine Lehre an, beim Schreiner.«
Nur zwei Jahre lagen dazwischen. Zwei Jahre ohne ihn. Aber er war ihr fremd geworden. Nie mehr wurde es wie früher zwischen ihnen. Auch dann nicht, als Ludwig nach Theos Tod wieder zu ihr gekommen ist, neun Jahre nach jener ersten Abreise. Er war fast ein Fremder, hat in ihrer Wohnung gewohnt wie ein Untermieter, hat, obwohl sie das nicht wollte, Kostgeld bezahlt und sich damit das Recht erkauft, nicht mit ihr zu reden, sie nicht teilhaben zu lassen an seinem Leben. Wenig haben sie miteinander gesprochen, sehr wenig.
Ich werde es ihm einmal sagen, hat sie immer gedacht. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, werde ich ihm alles erzählen.
Und dann ist es zu spät gewesen. Sie ist nicht mehr dazu gekommen, es ihm zu erzählen. Vielleicht hat er es sogar gewusst, aber das wird sie nie erfahren. Sie hat ihn neben Theo begraben lassen, weil sie nicht gewusst hat, wie sie ein anderes Grab hätte erklären können, und eigentlich hat sie es auch so gewollt. Beide sollten sie da sein und auf sie warten, auch wenn sie im Leben nicht Vater und Sohn gewesen sind.
Frau Kronawitter steht auf und holt sich ein Glas Wasser. Vielleicht sollte ich mit dem Jungen reden, denkt sie. Oder mit seiner Mutter. Vielleicht kann ich ihn abhalten, noch anderes zu tun, kann verhüten, dass ihm so etwas passiert wie meinem.
Im Haus ist es ganz still. Sie schaut auf den Wecker. Zwei Uhr ist es schon. Wastl bellt im Schlaf einmal kurz auf. Frau Kronawitter macht sich eine Wärmflasche. Morgen wird sie sehr müde sein.
13.
»Der Kerl ist wieder da«, sagt Herberts Mutter beim Abendessen. Herbert stellt schnell seine Tasse zurück. Sie klirrt auf dem Unterteller.
»Pass doch auf«, sagt sein Vater.
Nur nichts anmerken lassen, denkt Herbert. Er schaut zu, wie die Mutter die Wurstscheiben auf dem Teller zurechtschiebt. Herberts Augen halten sich daran fest. Er ist aufgeregt.
Darauf hat er gewartet, reden sollen sie davon. Die Polizei ist nicht mehr gekommen und Herbert hat jetzt fast keine Angst mehr. Er hat nur noch das Gefühl, aus lauter Nerven zu bestehen, überall, im Magen, im Bauch, an den Därmen. Vor allen Dingen an den Därmen. Diese Erregung ist anders als die Angst vorher, sie ist Lust.
Und wenn darüber geredet wird, ist die Lust größer.
»Der Kerl von der Kaminski ist wieder da. Seine Autotür ist abgeschliffen und weiß grundiert. Ich habe es gesehen, als ich das Bier geholt habe.«
Die Stimme der Mutter ist sehr laut, sie dröhnt Herbert in den Ohren. Zwei Tage ist es her, zwei Tage ist nicht mehr darüber geredet worden. »War die Polizei noch mal da?«, hat er gefragt.
»Nein«, hat die Mutter geantwortet und von den Fleischpreisen angefangen.
»Lackieren dauert drei Tage, bis es trocken ist«, sagt der Vater. Wenn Herbert auf die Wurst starrt, dreht sich die Küche vor seinen Augen, verschwimmt in einem fettroten Nebel. »Ich gehe ins Bett«, sagt er.
»Es gibt nachher einen Krimi im Fernsehen.« Der Vater schaut ihn an, fordert ihn auf zu bleiben, weil er nicht gern allein vor dem Apparat sitzt und die Mutter sich Krimis nicht anschaut. Sonst lässt Herbert sich nicht lange bitten, aber jetzt will
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