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KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

Titel: KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Bleif
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anderer als bloß spekulativer Weise zu nähern. Das begann sich erst Ende des 18. Jahrhunderts zu ändern. Wo finden wir nun die Spuren, die uns weiterführen könnten?

Eine erste Spur: Gift?
    Eine erste zuverlässige Spur stammt aus England, genauer aus der Boomtown des späten 18. Jahrhunderts: London war damals das Herz des britischen Empire und die modernste Stadt der Welt. Das Empire war nach der Niederlage der spanischen Armada 1588 zur führenden Welt- und Seemacht aufgestiegen. Großbritannien löste die industrielle Revolution aus und führte sie an, 7 und wie so oft in Perioden fieberhaften Wachstums lagen Glanz und Elend, Luxus und bittere Armut dicht nebeneinander. Der Reichtum war dem Leid zahlloser Unglücklicher zu verdanken.
    Tausende rauchende Schlote der expandierenden Metropole mussten instand gehalten und gereinigt werden. Wer eignete sich besser, in die dunklen, schmutzigen und vor allem engen Löcher zu kriechen, als die Kinder der Armen? Meistens mussten Waisenkinder diese furchtbare Arbeit als chimney sweepers verrichten und bereits als Kleinkinder die rußigen Kamine unter Lebensgefahr reinigen. Ihre Arbeits- und Lebensbedingungen waren grauenhaft. Hunger und Kälte, Hitze und Schmutz waren sie in den Kaminen schutzlos ausgesetzt. Wegen der großen Hitze wurde diese Arbeit in den Kaminen oft nackt erledigt; unablässig beschmierten Teer und Ruß die Haut. Erst 1788 setzte man das Mindestalter für die chimney sweepers gesetzlich auf acht Jahre fest; vor dieser Regelung arbeiteten die winzigen Schornsteinfeger, noch bevor sie das Schulalter erreicht hatten.
    Viele litten an einem nicht heilenden Geschwür im Genitalbereich, das im Volksmund »Ruß-Warze« genannt wurde. Medizinisch versorgt wurden sie fast nie, oder sie gerieten in die Fänge von Kurpfuschern. Wenige von ihnen hatten das Glück, von Koryphäen unter den Medizinern Londons behandelt zu werden. Mancher Chirurg, der in seiner Privatpraxis die Privilegierten der Hauptstadt empfing, kümmerte sich in öffentlichen Hospitälern um das Elend der Armen, ein Geschäft, das sich für Arzt und Arme als nützlich erwies. Die Ärzte erwarben den noblen Ruf der Nächstenliebe und eigneten sich bei dieser Gelegenheit ein umfassendes Praxiswissen an.
    Eines der renommiertesten Mitglieder
der medizinischen Royal Society Englands war Sir Percivall Pott (1714–1788), ein bedeutender Chirurg am Londoner St. Bartholomew’s Hospital. Er hatte zwar den Zenit seiner überaus erfolgreichen Laufbahn bereits überschritten, aber es gelang ihm 1775 mit der Veröffentlichung eines Aufsatzes mit einem langen, umständlichen Titel 8 eine Sensation für die Krebsforschung, deren Bedeutung die Fachwelt erst später erkannte.
    Bis dahin diagnostizierten Ärzte die »Ruß-Warze« als Geschlechtskrankheit. Pott aber schlug als einzige Möglichkeit, diese Wucherung erfolgreich zu behandeln, vor, sie mit einem raschen chirurgischen Eingriff zu entfernen. Andernfalls breite sich die Erkrankung über die Lymphbahnen im ganzen Körper aus. Wenn auch etwas verklausuliert, so hielt Pott diese ominöse Warze doch eindeutig für Krebs, und er war auch der erste, der den Ruß als Ursache für die Wucherung richtig erkannte. Dabei dürfte ihm kaum bewusst gewesen sein, dass er vermutlich zum ersten Mal die Hypothese vertreten, begründetund nachgewiesen hatte, Krebs könne durch eine schädigende Substanz von außen hervorgerufen werden, im weitesten Sinn also durch ein Gift. Hätte er sonst seine Theorie in einem großen Gemischtwarenladen weiterer medizinischer Beobachtungen versteckt?
    Krebs des Hodensacks war im 19. Jahrhundert unter englischen Schornsteinfegern weit verbreitet. Seltsamerweise schien dieser Krebs in Deutschland und in den USA deutlich seltener als in England aufzutreten. Sir Henry Butlin, ein Kollege Potts, schickte seine Assistenten aufs Festland, sie sollten sich vor Ort kundig machen. Die Schornsteinfeger auf dem Kontinent und in den Vereinigten Staaten waren älter, trugen bessere Schutzkleidung und wuschen sich häufiger. Teer und Ruß schienen etwas zu enthalten, das bei Hautkontakt Krebs auslöste. Offensichtlich bestand eine enge Beziehung zwischen Dosis und Wirkung. Je ausgeprägter nämlich die britischen Schornsteinfeger Teer und Ruß ausgesetzt waren – medizinisch gesprochen: je höher die Exposition war –, desto größer war das Risiko, zu erkranken. Und tatsächlich bewiesen Mediziner um 1875, dass Teer und Paraffinöl aus

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