KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
pubertärer peer-pressure sind. Viele gingen wohl auch den Trug- und Wunschbildern und dem kulturellen Überbau auf den Leim, den die Werbeindustrie mit unvorstellbaren Werbesummen ausgedacht, inszeniert und um dieses Produkt herum aufgebaut hat. Den bei Weitemüberzeugendsten Kandidaten für die Gift-Hypothese kennt jeder. Es handelt sich um die Zigarette.
1,2 Milliarden Menschen,
also mehr als ein Fünftel der Menschheit, setzen sich dieser Gefahr aktiv aus. Mittlerweise steht überall, wo es Zigaretten gibt, in jedem Supermarkt, in jedem Kiosk, an jeder Tankstelle, zu lesen: Rauchen verursacht Krebs! Und tatsächlich trifft diese Behauptung zu. Tabakrauch ist ein Gift-Cocktail, der sich aus mehreren tausend Einzelsubstanzen zusammensetzt, von denen mindestens 40 krebserregend sind.
Der Zigarettenkonsum (und in geringerem Maß auch alle anderen Formen des Tabakkonsums) fordern weltweit Millionen Tote. 1,2 Millionen Menschen sterben jedes Jahr allein an Lungenkrebs. 9 von 10 Lungenkrebsfällen werden durch Rauchen verursacht. Kein anderer Einzelfaktor trägt ähnlich signifikant zur Entstehung von Krebserkrankungen bei. Vermutlich sind sogar 30 Prozent aller Krebskrankheiten weltweit auf das Rauchen zurückzuführen. Rauchen erhöht nicht nur das Lungenkrebsrisiko, sondern auch das Risiko, an Tumoren des Mund- und Rachenraums, der Speiseröhre, des Magens, der Bauchspeicheldrüse, der Leber, der Nieren, des Harnleiters, der Blase, sogar an akuter myeloischer Leukämie zu erkranken.
Perfiderweise leiden nicht nur die Raucher.
Schätzungen zufolge ging man bis zu dem Rauchverbot, das heute in allen öffentlichen Räumen inklusive der Gaststätten – bis auf wenige Ausnahmen – gilt, in der Bundesrepublik von 3000 Krebstoten pro Jahr durch Passivrauchen aus. Betroffen sind heute noch vor allem die Lebenspartner von Rauchern. 10
Wie erfolgte die Beweisführung im Falle des Rauchens? Dieser aufschlussreiche Nachweis zeigt, wie wichtig und richtig die Vergiftungs-Hypothese ist, obwohl sie nicht ausreicht, um den grundlegenden Mechanismus zu verstehen, wie Krebs entsteht. Im 19. Jahrhundert trat der Lungenkrebs selten auf, nahm aber zwischen den Weltkriegen und in den vierziger und fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts rasant zu. Der Befund war nicht von der Hand zu weisen, aber über die Ursachen für diese Epidemie wurde wild spekuliert.
Diesmal gelang es zwei Briten und einem Amerikaner,
Licht ins Dunkel zu bringen. 1948 wurde der damals 36-jährige Richard Doll (1912–2005) aufgefordert, sich an einem Forschungsprojekt von Austin Bradford Hill (1897–1991), einem der führenden Medizinstatistiker der damaligen Zeit, zu beteiligen. Beide wollten herausfinden, warum sich in Großbritannien die Zahl der Lungenkrebsfälle zwischen 1927 und 1947 nahezu versechsfachthatte. Verdächtige gab es Dutzende: Der wachsende Individualverkehr mit Autos und der Ausbau des asphaltierten Straßennetzes galten als die Kandidaten, die man rasch und sicher nachweisen zu können glaubte. Kein seriöser Wissenschaftler verschwendete auch nur einen Gedanken an das Rauchen.
Die Tabakpflanze ist seit Kolumbus
in Europa bekannt. Die Seefahrer des 16. und 17. Jahrhunderts brachten sie in die Alte Welt mit. Bezeichnenderweise waren es die großen Kriege, vom Dreißigjährigen Krieg über die Feldzüge Napoleons bis hin zum Ersten Weltkrieg, die zur Verbreitung des Rauchens führten. Die Generäle schätzten Tabak, weil er Angst und Hunger unterdrückt. Lange Zeit sprach man dem Tabak sogar heilende Wirkungen zu; er schützte angeblich vor Infektionen, ja sogar Syphilis sollte sich damit heilen lassen.
Erst das industrialisierte Europa gab dem Tabak mit der Zigarette die Form, in der das Rauchen seit dem Ersten Weltkrieg seinen unseligen Siegeszug über den Globus antrat. Die Zigarette bringt zwei fatale Fakten mit sich: Sie ist billig, und sie wird (meistens) auf Lunge geraucht. Tabakrauch gelangte so erstmals in hoher Dosierung in die feinsten Verästelungen des menschlichen Bronchialbaums.
Als Richard Doll sich an die Arbeit machte, gab es in der medizinischen Fachliteratur nur äußerst spärliche Hinweise auf die Möglichkeit, dass Zigarettenrauch eine Rolle bei der Krebsentstehung spielen könnte. Er kannte wohl nur eine einzige Publikation zu diesem Thema. Diese Arbeit war 1939 von einem 25-jährigen Medizinstudenten namens Franz Hermann Müller in Köln veröffentlicht worden. Müller übersah zwar nur eine Gruppe von 86
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