KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
Dazu gehört weit mehr als eine potentielle Verträglichkeit und die Aussicht auf Wirksamkeit. Aber davon soll im letzten Kapitel die Rede sein. 76
Auch wenn es inzwischen viele Studien gibt, die untersucht haben, unter welchen Bedingungen eine palliative Chemotherapie Sinn machen könnte, folgt die Behandlung im Einzelfall jedes Mal wieder dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Die erste Hürde ist die Verträglichkeit der Behandlung. Meist stellt sich schon nach den ersten Gaben eines Medikaments heraus, ob der Patient imstande ist, mit der Therapie ein vernünftiges Leben zu leben. Die zweite Hürde steht am Ende der ersten Therapiephase, meist nach einer Zeit von acht bis zwölf Wochen. Spätestens dann muss sich zeigen, ob die Behandlung auch wirksam ist. Das Minimalziel ist ein Wachstumsstillstand, erwünscht ist aber die eindeutige Verkleinerung, im Idealfall natürlich das Verschwinden der Tumormassen. Die Überprüfung der Wirkung einer Therapieerfolgt meist mit den Mitteln der Radiologie. 77 Spricht ein Tumor auf eine Behandlung an, so wird die Therapie in der Regel fortgesetzt. Für die optimale Dauer einer palliativen Chemotherapie können aber ebenfalls kaum allgemein verbindliche Regeln aufgestellt werden. Manchmal ist es sinnvoll, so lange zu behandeln, wie eine Wirkung auf den Tumor nachgewiesen werden kann. Nicht selten sind aber Pausen und therapiefreie Intervalle notwendig.
Meldet sich das Raubtier zurück, steht die schwierige Entscheidung an, ob die Behandlung wieder aufgenommen werden soll. Oft muss dann eine Umstellung auf eine andere Form der palliativen Chemotherapie vorgenommen werden, die sich erneut an den beiden Hürden Verträglichkeit und Wirksamkeit beweisen muss. Das Maß der Dinge ist dabei immer die Lebensqualität des Patienten, die in der Gesamtheit aller ihrer Facetten schwer zu objektivieren ist. Im Verlauf einer Erkrankung können die Kriterien und Eckpunkte der Entscheidungen in Fluss geraten. Die einzige Konstante ist der Wandel. Gute Palliativtherapie setzt also einen fortwährenden Dialog zwischen Behandler und Behandeltem voraus. Ein Aspekt jedoch ist leider allen Formen der palliativen Chemotherapie gemeinsam: Ihre Wirkung ist in zweierlei Hinsicht begrenzt.
Fazit – Chemotherapie im Dilemma: Wenn Krebs zum Problem des ganzen Körpers geworden ist
Die Entwicklung eines wirksamen Medikaments gegen Krebszellen erinnert an den Versuch, einen Kreis zu quadrieren. Eine Chemotherapie hat konkurrierende Ziele: Sie soll Krebszellen abtöten, ohne den gesunden Körper irreversibel zu schädigen. Bisher zielen aber alle konventionellen Zytostatika auf eine Maschinerie, die auch in fast allen gesunden Zellen präsent ist. Die Unterschiede, die die Zytostatika nutzen, sind quantitativer, nicht qualitativer Natur. Eine definitive Chemotherapie mit dem Ziel, den Krebs zu heilen, ist ein Gang über einen schmalen Grat. Die Tür zur Behandlung steht oft nur einen schmalen Spalt breit offen. Meistens überlappen sich Wirkungen und Nebenwirkungen. Trotzdem hat diese Form der Chemotherapie die Behandlung mancher Krebserkrankungen revolutioniert. Sie kann eine kleine Gruppe von Krebserkrankungen tatsächlich heilen. Es mag eine glückliche Fügung des Schicksals sein oder auch in der Natur der Sache liegen: Ausgerechnet die Zellen der akuten Leukämie, des »flüssigen« Krebses, haben besondere biologische Eigenschaften, die sie zu einer durch konventionelle Zytostatika heilbaren Krankheit machen. Diese Eigenschaften teilt sie mit einer Handvoll weiterer, sehr spezieller Krebsformen.
Beim Gros der Krebserkrankungen muss sich die medikamentöse Tumortherapie mit einer bescheideneren Rolle zufrieden geben. Im Verbund mit Operation oder Strahlentherapie, in Form einer adjuvanten Chemotherapie, tragen Krebsmedikamente dazu bei, die Heilungschancen vieler scheinbar lokal begrenzter Tumorerkrankungen zu verbessern. Sie helfen, weil sie im Körper zirkulierende Tumorzellen abtöten oder weil sie die lokale Wirkung der Bestrahlung erhöhen.
In ihrer dritten Rolle, als palliative Therapie, kann es der Chemotherapie gelingen, das Leben mit dem Krebs zu verlängern oder zumindest erträglicher zu gestalten. Bei metastasierten Krebserkrankungen 89 vermag sie die Mauer zwischen Leben und Tod ein Stückchen zu verschieben. Eingerissen wurde diese Mauer aber bisher nicht. Auch heute noch ist fast keine der häufigen Krebserkrankungen heilbar, wenn sie einmal die Schwelle zur Systemerkrankung
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